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Mario Adorf spielte in "Winnetou" ebenso wie in "Die Blechtrommel" und dem TV-Vierteiler "Der große Bellheim".

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Adorf bei der Bambi-Verleihung im November in Berlin.

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Mario Adorf und Hannelore Elsner in "Die Herren mit der weißen Weste" (1966).

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Als Mario Adorf an diesem Morgen in München durch das Atrium des Hotels Bayerischer Hof schreitet, ist er ganz Gentleman. Fester Schritt, schwungvoller Gang, graues, volles Haar. Er ist der Silberrücken der deutschen Filmindustrie, seit Ende der 1950er-Jahre nicht mehr wegzudenken aus Kino und Fernsehen. Der 86-Jährige hat mit Regisseuren wie Billy Wilder, Volker Schlöndorff und Helmut Dietl gedreht. Am 25. Dezember ist er in der "Winnetou"-Neuverfilmung auf RTL zu sehen. Sobald sich Mario Adorf setzt, redet er los. Über Begegnungen aus vergangenen Zeiten, die in München, Rom und Saint-Tropez stattfanden.

STANDARD: Herr Adorf, in die deutsche Filmgeschichte haben Sie sich mit "Nachts, wenn der Teufel kam", "Die Blechtrommel" oder "Winnetou" eingeschrieben. Mit letzterem Film wurden Sie 1963 sogar der Schreck einer ganzen Generation.

Mario Adorf: Ich habe Nscho-tschi erschossen, das ist Winnetous Schwester. Danach hing mir das Klischee des Schurken an. Ich will aber nicht jammern, das sind meist sowieso die besseren Rollen.

STANDARD: Wir sitzen im Hotel Bayerischer Hof in München. Da fällt einem sofort die Serie "Kir Royal" ein, die hier 1985 gedreht wurde. Berühmt ist bis heute Ihre Zeile "Ich scheiß dich zu mit meinem Geld". Für die Rolle des schmierigen Industriellen Haffenloher hatten Sie ein Vorbild.

Adorf: Das war ein rheinländischer Industrieller, der hatte eine Lackfabrik, keine für Klebstoff wie in der Serie. Auf einem Münchner Filmball kam er mal zu mir und sagte: "Herr Adorf, die Nastassja Kinksi, dat is ja 'n dolles Weib, können Se misch der nisch mal vorstellen?"

STANDARD: Haben Sie es gemacht?

Adorf: Ich glaube nicht, aber der Satz blieb mir im Ohr, und ich benutzte seinen dicken Kölner Dialekt für die Rolle des Haffenloher.

STANDARD: In Ihren Münchener Sturm-und-Drang-Jahren Ende der 50er-Jahre haben auch Sie sich gegenüber Frauen nicht immer korrekt verhalten. Ihre Mutter warf Ihnen mal vor, Sie würden sich "wie die Axt im Walde benehmen".

Adorf: Sie war eine sehr geprüfte Frau und hatte keine guten Erfahrungen mit Männern gemacht.

STANDARD: Ihr Vater war ein verheirateter italienischer Arzt und ließ Ihre Mutter sitzen.

Adorf: Nach meiner Geburt ist sie meines Wissens ihr Leben lang ohne Mann geblieben. Es gab wohl Anwärter, mal einen wohlhabenden Bauern, mal einen Friseur, aber sie sagte "Der stinkt nach Pferd" oder "Der lackiert sich die Haare". Sie war empfindlich. Ihr Motto war: Ich würde nie einem Mann die Schuhe putzen. Meine putzte sie! Zu ihr kamen dann manche meiner gekränkten Freundinnen und beschwerten sich.

STANDARD: Worüber?

Adorf: Ich hatte zum Beispiel einmal eine Affäre beendet, indem ich die Wagentür öffnete und sagte: Bitte, das war's.

STANDARD: Nicht besonders feinfühlig.

Adorf: Nein, das war es nicht. Später schämte ich mich dafür. Ich habe sie übrigens nach einiger Zeit wiedergesehen, und wir lachten darüber. Man war schnell und leichtfertig damals. Ich kannte in Schwabing einen jungen Burschen, den ich damals bewunderte. In einer Bar saß an einem Tisch ein älterer Herr mit einer jungen Dame. Dieser Kerl legte dem Mann die Hand auf die Schulter: "So, Opa, du bist müde, du gehst jetzt gleich in die Heia!" Der ging, sie blieb. So ein Aufreißer war ich nie.

STANDARD: Sie schmissen nur Frauen aus Autos.

Adorf: Ich habe sie nicht rausgeschmissen, sondern höflich rausgewunken. Aber das war einmal! Ich musste lernen, wie man Frauen richtig behandelt. Als ich 1965 nach Rom gezogen bin, änderte sich mein Verhalten. Da war ich nicht mehr so wahllos. Mit den Italienerinnen war es auch nicht so einfach.

STANDARD: Die katholische Kirche war schuld?

Adorf: Die hatten eine andere Erziehung. Die Familien hatten ihnen eingetrichtert, dass sie kostbarer mit sich umzugehen haben.

STANDARD: Was hat Sie nach Italien gebracht?

Adorf: Ich wurde eingeladen, dort zu drehen. Ich blieb und genoss die große Zeit des italienischen Films. Auf der Via Condotti flanierten die ganzen großen Stars, saßen im Café Greco ...

STANDARD: Fellini, Cardinale ...

Adorf: ... aber auch die Amerikaner, Charlton Heston, Anthony Quinn, Anita Ekberg, Steve McQueen, Audrey Hepburn. Man fuhr zu Polanski, der hatte draußen an der Via Appia eine Villa gemietet, und man saß dort lange Tage am Swimmingpool. Eine Party jagte die andere. Manchmal schaffte man drei an einem Abend. Die Stadt schwamm auf einer positiven Welle, alles schien so leichtlebig.

STANDARD: Haben Sie Ihre italienische Familie denn einmal besucht?

Adorf: Mein Vater starb schon 1957, den hatte ich nur einmal kurz mit 21 Jahren gesehen. Wir konnten uns kaum verständigen, das war kein emotionales Treffen. Ich brauchte einen Scheck, um mich an der Zürcher Universität immatrikulieren zu können. Meine Tante lebte damals in Rom, sie schrieb mir einen Brief auf Italienisch.

STANDARD: Wusste Ihre Mutter davon?

Adorf: Ich habe meinen Vater in Kalabrien hinter ihrem Rücken besucht, sie hätte nie eingewilligt. Er hatte sie zu stark verletzt. Mein Vater hatte schon drei Töchter, Abtreibung kam für ihn nicht infrage. Zu meiner Mutter hat er gesagt: Du kriegst das Kind, das geben wir heimlich zu einer Amme auf dem Land, sonntags fahren wir hin und besuchen den Kleinen. Wie bitte, ich soll mein Kind nur einmal in der Woche sehen? Am nächsten Tag ist meine Mutter im Morgengrauen in den Zug gestiegen, fuhr nach Neapel zu ihrer Schwester, die sie aus Rücksicht auf ihren Mann nicht aufnehmen mochte. "In dem Zustand darf Carlo dich nicht sehen!" Meine Mutter machte auf dem Treppenabsatz kehrt und fuhr in der Augusthitze einen Tag lang nach Zürich, ihrer Geburtsstadt, wo auch ich geboren wurde.

STANDARD: Sie haben die Familie Ihres Vaters danach kein einziges Mal besucht?

Adorf: Ich habe 1963 einen Film gemacht, bei dem ein Kalabreser Produktionsleiter war. Der fragte mich: Wo kommst du her? Ich habe ihm gesagt, mein Vater war Arzt in Locri. Da komme ich auch her, sagte er. "Professore Menniti? Ich habe einer seiner schönen Töchter den Hof gemacht, erfolglos leider." In den Ferien fuhr er heim nach Locri und erzählte den drei Schwestern, dass sie einen Halbbruder hätten. Sie glaubten ihm nicht. Erst 15 Jahre später, als ich am Teatro Argentina in Rom gespielt habe, klopfte nach einer Vorstellung eine schöne Dame an meine Garderobentür und fragte: "War Ihr Vater Professore Menniti? Meiner auch." Sie war die mittlere Schwester der drei.

STANDARD: Wie reagierten Sie?

Adorf: Sie wurde eine gute Freundin, wir ähnelten uns, spürten unsere Verwandtschaft, sie war nur drei Jahre älter als ich. Später wollte sie meine Mutter kennenlernen, besuchte sie in München und verehrte sie regelrecht. Im selben Sommer bin ich nach Kalabrien zu ihr gefahren.

STANDARD: Trotz allem wurden Sie mit dem Land Ihres Vaters nie richtig warm. Woran lag es?

Adorf: Je mehr ich Italiener werden wollte, umso mehr merkte ich, wie deutsch ich war. Meine Vorlieben, die Kunst, die Malerei, die Bauwerke, die Lebensart, das Essen, boten faszinierende Impulse für einen deutschen Bildungsstudenten, der sich wie Goethe auf den Weg nach Italien machte.

STANDARD: Wann merkten Sie, dass Sie kein Italiener sind?

Adorf: Bei allen Erfolgen bin ich nie von den damals meist linken Regisseuren engagiert worden, Rosi, Petri, Pasolini, Antonioni, Visconti. Für die war ich eben ein Deutscher, damals immer noch ein Feindbild.

STANDARD: Gegen den Österreicher Helmut Berger hatte Luchino Visconti nichts. Mit ihm war er sogar liiert.

Adorf: Visconti hat ihn sehr geliebt. Der Regisseur war ein eleganter, geistreicher Mann, ein großer Verführer. Man munkelte, dass auch nicht homosexuelle Schauspieler seinem Charme erlagen. Ich habe mich von ihm ferngehalten. In den inneren Zirkel der großen Stars, Marcello Mastroianni, Vittorio Gassman, Alberto Sordi, kam ich nicht rein.

STANDARD: Da haben Sie Italien den Rücken zugekehrt?

Adorf: Erst viele Jahre später. 2004 habe ich die Wohnung in Rom aufgegeben, weil zwei Dinge passierten: Die Filmindustrie und das Theater lagen am Boden. Ruiniert von Herrn Berlusconi. Dieser Mann war untragbar, als Politiker unmöglich, ein Industrieller, der Macht suchte.

STANDARD: Hat es Sie überrascht, wie lange er letztlich durchgehalten hat?

Adorf: Absolut. Da habe ich wirklich angefangen, an den Italienern zu zweifeln – genauso wie an den Amerikanern, die gerade Trump gewählt haben. Hinzu kam noch eine andere Sache. Diese Italiener, diese Anarchisten, die keine rote Ampel respektierten, als ich nach Italien gekommen war. Und dann waren sie fast die Ersten, die das Rauchverbot in Lokalen durchgesetzt haben. Also das war für mich ein Kulturschock. Und das sage ich als Nichtraucher. Das waren nicht mehr meine Italiener, wie ich sie kannte und mochte.

STANDARD: Fühlen Sie sich in Saint-Tropez wohler?

Adorf: Das ist schwer zu sagen. Der Ort verliert allmählich seinen Ruf. Er ist nicht so schick, wie man sich das vorstellt.

STANDARD: "Unser Dörfchen" nennen Sie ihn.

Adorf: Die Playboy-Generation um Gunter Sachs oder Rubirosa, Erol Flynn, der Glamour der 60er und 70er ist nicht mehr da. Saint-Tropez ist heute ein reiner Touristenort, mit anderen Städten an der Côte d'Azur verglichen etwas weniger baulich verschandelt. Brigitte Bardot hat sich völlig zurückgezogen, aber ihr Nimbus scheint unvergänglich. Man wird Saint-Tropez wahrscheinlich irgendwann in Sainte-Bardot umtaufen.

STANDARD: Zu der Schauspielerin haben Sie ein besonderes Verhältnis. Ihre Frau war in den 1960er-Jahren Lichtdouble für sie.

Adorf: Die Bardot hatte einen Hofstaat, sie war ein Star, sie konnte ihre Freundinnen auf die Gehaltsliste setzen. Als ich die Bardot kennengelernt habe, arbeiteten ihre Vertrauten als Sekretärin, Friseuse, Stylistin. Weil meine Frau blond war, wurde sie zweimal das Double für die Bardot.

STANDARD: Sie sind seit 1985 mit ihr verheiratet. Über Beziehungen haben Sie gesagt: "Ehrlichkeit ist eine katastrophale Eigenschaft." Sieht Ihre Frau das ähnlich?

Adorf: Ich glaube, ja. Gegenseitige Beichten von irgendwelchen Sünden kamen für uns nicht infrage.

STANDARD: Sind Sie ein eifersüchtiger Mensch?

Adorf: Da bin ich gar nicht italienisch. Ich lasse anderen ihre Freiräume. Eifersucht war für mich eine schlimme Eigenschaft, die ich nur in meiner Jugend kannte.

STANDARD: Misstrauen Sie dem Satz: Ich liebe dich?

Adorf: Ich würde ihn nie leichtfertig benutzen. Meiner Frau sage ich das täglich. (Ulf Lippitz, RONDO, 18.12.2016)