Wien – Man kann nicht nicht mitmachen. Im Leben sowieso nicht und auf gar keinen Fall in einer Ausstellung, hinter der Franz West (1947–2012) steckt. Seit den 1970er-Jahren setzte der österreichische Künstler auf die Teilhabe des Publikums an seinen Werken.
Die berühmten Passstücke, handliche, mehr oder weniger formlose Pappmachéobjekte, sollten nicht nur angeschaut, sondern benutzt werden. Ob man sie unter die Arme klemmte oder umhängte – egal. Auf Tuchfühlung sollte das werte Kunstpublikum gehen, althergebrachte Grenzen zwischen Betrachter und Werk vergessen.
Das ist – noch heute – gar nicht so einfach, wie man denken mag, und eine Erfahrung, die man am eigenen Leib gemacht haben sollte. Eine Gelegenheit dazu bietet sich im Wiener 21er-Haus. Keine klassische Retrospektive ist dem großen Neuerer West dort jedoch gewidmet, sondern die posthume Realisierung seines Projekts Artistclub von 1999 – eine Ehrerweisung der besonderen Art.
Aufgelöste Grenzen
Gezeigt werden Arbeiten, die auf der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern beruhen. Entgrenzend wirkte West nämlich nicht nur im Bezug auf die "unnahbare" Plastik, sondern auch auf die Konvention der Autorschaft durch einen Einzelkünstler. West inspirierte und ließ sich inspirieren, reichte Arbeiten weiter, mit denen er nicht weiterwusste, stellte seine Möbelstücke für Performances zur Verfügung. Der Netzwerkgedanke spielte stets eine entscheidende Rolle, stand offen im Vordergrund.
Im Fall der Passstücke heißt das, dass man sich nun in einer von Michelangelo Pistoletto gestalteten "Umkleidekabine" mit ihnen arrangiert respektive abwurstelt – man ist mit ihnen vor einem Ganzkörperspiegel allein. Pistolettos Kommentar mag darauf abzielen, dass sich beim unbeholfenen Umgang mit den Passstücken durchaus auch ein Gefühl der Peinlichkeit einstellen kann.
Spiegelei auf Pappmaché
Lang und internationale Grenzen überschreitend ist indes die Liste von Künstlern, mit denen West eine "Komplizenschaft" einging, wie Kurator Harald Krejci es ausdrückt. Albert Oehlen bemalte eines seiner Pappmachéobjekte, auf ein anderes wird nach einer Anweisung von Sarah Lucas jeden Tag ein frisches Spiegelei gelegt. Der Schotte Douglas Gordon steuerte für eine aus zwei Chaiselongues bestehende Installation Texte an der Wand bei. Architektonisches Zentrum der Schau ist ein bis unters Dach reichender monolithischer Aufbau Heimo Zobernigs, der mit einem wabernden Spiegelvorhang das Seinige zur flirrenden Buntheit der Ausstellung tut.
Bezeichnend für den Geist des Miteinanders, den West pflegte, ist insbesondere auch die rundum mit Gastarbeiten gespickte Installation Extroversion. Es handelt sich um jenes Projekt, das West auf der Biennale von Venedig 2011 zeigte. Als Kunststar eingeladen, nutzte West eine eigene Arbeit – einen nach außen gestülpten Nachbau der Küche in seiner Wohnung – lediglich als Präsentationsfläche für andere, auch weniger populäre Künstler. Extroversion fungierte auf der Biennale gewissermaßen als trojanisches Pferd.
Ruhe vor der Buntheit
Im 21er-Haus dient das Innere der grün angehirselten Installation derzeit als Bühne für die (tollen) Videos Rudolf Polanszkys, die während der Laufzeit allerdings ausgetauscht werden. Überhaupt legt man es im Artistclub auch kuratorisch auf Lebendigkeit an und hofft auf Überraschungen, etwa wenn man den Ausstellungsraum ab Mitte Jänner für Performances, Talks, Konzerte nutzt.
Wer Wests findigen Humor mag, wird im 21er-Haus sowieso seine blanke Freude haben. Wem es rasch zu bunt wird, der schafft es dagegen vielleicht nicht einmal durch den Eingangsbereich der Schau mit seiner schreienden gachrosa-gelben Karotapete: einer von West und Anselm Reyle entworfenen Bar-Architektur, die ebenfalls benutzt werden soll und im Sinne des entgrenzten Kunstwerks auch den Getränkekonsum in die Sphäre der Kunst heben dürfte.
Wer sich dann hinlegen will, kann dies in einer Installation tun, die West zusammen mit seiner Lebensgefährtin Tamuna Sirbiladze (1971–2016) umsetzte: Zwei Sessel des Künstlers laden zur Kontemplation in wolkig silbergrau bemalte, chamäleonartig mit der Wand verschmelzende Leinwände ein.
Sicher, man kann sich den Arbeiten aus dem West'schen Geist und Dunstkreis auch nur per Intellekt widmen, dann versäumt man hier aber tatsächlich etwas. Eher sollte man mit dem Körper schauen respektive, wie es West im Hinblick auf seine Möbel vorschlug, "mit dem Gesäß". (Roman Gerold, 14.12.2016)