Wer nicht in der Wiese krabbelt, sollte sich eine Matte unterlegen – sonst drohen schmerzende Knie.

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Die einen machen es zu Hause in der Wohnung, die anderen draußen im Park. Und immer öfter auch im Fitnessstudio: Krabbeln wie ein Kleinkind. Denn Krabbeln, in der Fitnessbranche "Crawling" genannt, soll die Kernmuskulatur kräftigen, die Koordinationsfähigkeit erhöhen – und, so zumindest das Versprechen von Krabbel-Gurus in den USA, wie ein "Reset-Knopf", also ein Neustart, für den gesamten Körper wirken.

"Crawling" wird in der Fitnessbranche als einer der Trends für 2017 gehandelt. Bei John Harris werden seit kurzem Kurse angeboten. Am Mittwochabend wird quer durch einen Trainingsraum eine Mattenbahn aufgelegt. Dann begeben sich die Kursteilnehmer in den Vierfüßerstand. Das sorgt anfangs für verlegenes Grinsen und erhebliche Gleichgewichtsprobleme. Anfängern wird erklärt, wie jene Krabbelbewegungen, die Kleinkinder im Schlaf beherrschen, korrekt ausgeführt werden: Während sich die rechte Hand nach vorne bewegt, muss das linke Bein nachgezogen werden, und umgekehrt. Dann krabbeln die Kursteilnehmer, einer nach dem anderen, los.

Bei "Crawling" handelt es sich um unterschiedliche Übungen im Vierfüßlerstand in sehr unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen. Häufige Übungen sind beispielsweise das Robben am Boden oder die Fortbewegung in der Liegestütz- oder Sitzposition. In der "Washington Post" wird der Chiropraktiker Justin Klein zitiert, der davon überzeugt ist, dass man durch regelmäßiges Krabbeln die Mobilität und die Stärke, die dem Körper verlorengegangen ist, wieder zurückgewinnen kann. Denn darin, dass Erwachsene das Krabbeln verlernt hätten, sieht er den Grund für viele Probleme im Bewegungsapparat.

Keine neuen Übungen

Der Linzer Sportmediziner Rainer Hochgatterer sieht im Vierfüßerstand einen "guten Reiz für den Bewegungsapparat", der durch das jahrelange Sitzen im Büro viel an Beweglichkeit und Leistungsfähigkeit eingebüßt hat: "Viele Menschen machen in ihrem Alltag nie etwas funktionell Anspruchsvolles", sagt er.

Neu seien die Übungen allerdings nicht: "Diese Übungen kennen wir alle schon aus dem Turnunterricht." Mit dem Namen "Crawling" sei dem Ganzen aber ein neues Mascherl verpasst worden. Der Sportmediziner sieht Krabbeln beispielsweise als gute Übung zum Aufwärmen. Auch zum hochintensiven Intervalltraining würden sich die Übungen eignen. "Aber dafür braucht man eine gewisse Grundfitness", betont Hochgatterer. Anfängern empfiehlt er daher, sich jede Woche eine neue Übung im Vierfüßerstand vorzunehmen – und das Training langsam anzugehen.

In der "Crawling"-Einheit bei John Harris wird es indes langsam komplexer: In der Liegestützposition müssen die Füße nach vorne bewegt werden, dann die Hände – und das über die gesamte Länge der Mattenbahn. Das funktioniert nicht bei allen auf Anhieb – es staut sich auf der Mattenbahn.

Die wirklich spektakulären Krabbler findet man im Internet: Es soll Menschen geben, die jeden Tag als Workout die Stufen ihres Hauses hinauf- und hinunterkrabbeln. Und selbst in China soll der Fitnesstrend schon angekommen sein. Dort absolvieren Senioren in Krabbelposition auf der Straße ihr Workout.

Büroarbeiter und Kinder

"Krabbeln ist so ziemlich das Erste, was ein Mensch lernt, um sich fortzubewegen", erklärt Fitnesstrainer Andreas Vila. "Dadurch wird zum ersten Mal im Leben die Muskulatur eines Menschen gestärkt." Als Zielgruppe für "Crawling" nennt er "jeden, der dazu in der Lage ist und Spaß an der Bewegung hat". Für Hochgatterer sind die Übungen besonders für Menschen, die im Alltag viel sitzen, empfehlenswert. Doch auch für Jugendliche und Kinder im Wachstum kann er sich das Training vorstellen.

"Aber diese Übungen brauchen eine genaue Anleitung", warnt er. Denn wer bei den Übungen ins Hohlkreuz fällt oder einen Rundrücken macht, riskiert Rückenschmerzen. Auch Nackenprobleme könnte die falsche Ausführung verursachen.

Menschen mit Knie- oder sonstigen Gelenksproblemen wird ohnehin zur Vorsicht geraten. Denn einen entscheidenden Unterschied gibt es zwischen dem Krabbeln von Kleinkindern und Erwachsenen: Die Gelenke eines kleinen Kindes müssen um ein Vielfaches weniger an Gewicht tragen, als jene von Erwachsenen. "Je schwerer jemand ist, desto schwieriger wird es", räumt auch Vila ein.

Keine Geräte nötig

Ob sich der Trend auf die lange Sicht durchsetzt? "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Leute gibt, die plötzlich nur mehr 'Crawling' machen", sagt Sportmediziner Hochgatterer, der den Spaßfaktor des Workouts als eher gering einschätzt. Gut findet er aber, dass die Übungen von jedem zu Hause gemacht werden können und keine teuren Trainingsgeräte nötig sind.

"Das Interesse ist groß", sagt John Harris-Pressesprecher Christian Zöbl. "Es ist der Reiz des Neuen", fügt Cheftrainer Vila hinzu. Auch wenn die Kursteilnehmer viele der Übungen irgendwann in ihrem Leben schon einmal beherrscht haben. (Franziska Zoidl, 8.1.2017)