Wien – Eine Einsparung von 100 Millionen Euro im Jahr: Das erhofft sich Familienministerin Sophie Karmasin von ihrem Plan, im Ausland lebenden Kindern von hierzulande arbeitenden EU-Bürgern die Familienbeihilfe zu kürzen. Doch die Hoffnung sei trügerisch, warnt Migrationsexpertin Gudrun Biffl. "Viele werden als Reaktion die Kinder nach Österreich holen", sagt sie. "Ich gehe davon aus, dass ein Drittel der Kinder kommt – eine moderate Schätzung."

Die Wissenschafterin von der Donau-Uni Krems verweist auf Erfahrungen Anfang der Achtzigerjahre: Als Österreich "Gastarbeitern" damals die Familienbeihilfe kürzte, sei der Anteil ausländischer Kinder an den Schulen sprunghaft angestiegen, ohne dass Letztere darauf vorbereitet gewesen seien. Biffls Daten zeigen: Von 1978 bis zum Schuljahr 1980/81 war die Zahl der Schülerinnen und Schüler aus Ex-Jugoslawien von 6681 auf 9745 explodiert, die türkische Schulpopulation hatte sich von 2679 auf 6477 sogar mehr als verdoppelt – dazwischen lag eine (erste) Einschränkung der Familienbeihilfe.

Die Folgekosten für Schule und Integration zusätzlicher Kinder würde auch heute die Einsparungen auffressen, glaubt Biffl und hält die Kürzung für doppelt kurzsichtig. Es liege im Interesse aller Mitgliedsstaaten, dass soziale Unterschiede in der EU möglichst gering seien, argumentiert sie: Gerade in Ländern wie Rumänien trage die Familienbeihilfe zur Stabilität bei. Ungerecht sei der Plan obendrein: Schließlich zahlten EU-Bürger wie alle anderen Arbeitnehmer in den Familienlastenausgleichsfonds ein.

Alleingang nicht möglich

Im Büro Karmasins hält man die Warnung vor verstärktem Zuzug für "an den Haaren herbeigezogen". Die höhere Familienbeihilfe werde in Österreich von den Lebenskosten aufgefressen, insofern steige eine Familie nach Umzug der Kinder nicht besser aus. Die Ministerin von der ÖVP hofft trotz des Neins der EU-Kommission auf eine "Koalition der Willigen" in der Union, fasst als Plan B aber einen nationalen Alleingang ins Auge.

Dieser würde unter den jetzigen Umständen jedoch EU-Recht verletzen, sagt der Europarechtler Walter Obwexer von der Uni Innsbruck: Jeder Betroffene könnte auf Nachzahlung klagen und würde "mit Sicherheit" recht bekommen. Um die Familienbeihilfe am Wohnsitz der Kinder bemessen zu dürfen, müsste die Regierung diese erst grundlegend umbauen: von einer Leistung, die aus Beiträgen der Arbeitnehmer und -geber gespeist wird, zu einer Sozialhilfe aus dem allgemeinen Steuertopf. (Gerald John, 15.12.2016)