Bild nicht mehr verfügbar.

US-Botschafterin Samantha Power: "Schämen Sie sich nicht?"

Foto: Reuters/Jackson

Ungeachtet neu aufgeflammter Kämpfe am Mittwoch ist die Schlacht um Aleppo de facto entschieden. Russlands Außenminister Sergej Lawrow rechnet damit, dass die Regierungstruppen von Bashar al-Assad noch maximal "zwei bis drei Tage" mit Widerstand rechnen müssen. Die Evakuierung der Stadt verzögert sich durch die Kämpfe allerdings, wodurch auch die Zahl der – auch zivilen – Opfer weiter steigen dürfte.

Im UN-Sicherheitsrat führte unterdessen die humanitäre Situation in Aleppo zu einem erbitterten und emotionalen Schlagabtausch zwischen Moskau und Washington. "Schämen Sie sich gar nicht?", klagte US-Botschafterin Samantha Power Machthaber Assad, aber auch dessen Verbündete Iran und Russland an, für den "kompletten Kollaps der Menschlichkeit" in Aleppo verantwortlich zu sein. Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin, der Power ironisch als "Mutter Teresa" bezeichnete, wies die Anschuldigungen zurück: Washington habe kein Recht auf den "moralischen Zeigefinger".

Moskau sieht sich unterdessen mit der Frage "Wie geht es weiter?" konfrontiert. Für Russland ist die Einnahme Aleppos, die Assad ohne Hilfe der russischen Luftwaffe nicht gelungen wäre, ein bedeutender Etappensieg. Zugleich setzt sich immer stärker die Erkenntnis durch, dass der Krieg noch lange nicht gewonnen ist.

"In Syrien läuft ein vielschichtiger Konflikt. Es geht nicht nur um eine Front gegen einen äußeren Eroberer, bei der der Fall einer Großstadt auf den weiteren Gang der Ereignisse wirkt", sagte der Moskauer Politologe Aschdar Kurtow dem STANDARD; es handle sich vielmehr um ein Mosaik verschiedenster befristeter Koalitionen und wechselnder Fronten. Ein Sieg auf einem Kriegsschauplatz habe keine Auswirkungen auf die Ereignisse an anderen Fronten.

Keine Gesamtkontrolle

Dass Assad die Gesamtlage keineswegs unter Kontrolle hat, zeigt Palmyra: Seine Truppen hatten die antike Ruinenstadt im März vom "Islamischen Staat" zurückerobert. Russland feierte den Erfolg daraufhin propagandistisch effektvoll mit einem Konzert des Petersburger Mariinski-Orchesters im antiken Amphitheater der Stadt: Es sollte der Welt Assad nicht nur als bessere Alternative gegenüber den IS-Terroristen präsentieren, sondern auch Kontrolle und Stabilität demonstrieren. Eine trügerische Illusion, wie nun der überraschende Erfolg der IS-Milizen in Palmyra zeigt.

Es ist keineswegs Assads einzige Schwachstelle: In Deir ez-Zor werden Regierungstruppen seit über einem Jahr belagert, in Qamishli an der Grenze zur Türkei sind die Truppen Assads ebenfalls isoliert, die Lage zwischen Regierungstruppen, Kurden und syrischen Christen fragil.

"Die syrische Armee ist nicht stark genug, um allein, ohne die Unterstützung von Russen und Iranern, die Lage unter Kontrolle zu bekommen", analysiert Politologe Kurtow; zudem sagte er die Zunahme von Terroranschlägen, auch außerhalb Syriens, voraus. Zumindest im nächsten Halbjahr sei kein Ende der Kämpfe abzusehen, auch weil andere Akteure – wie die Türkei – ihre Ambitionen nicht aufgeben würden. Das bedeute, dass auch Russland weiterhin im Konflikt gefesselt bleibe.

Zuletzt war bereits bekannt geworden, dass Russland neben der bekannten Luftunterstützung auch im begrenzten Umfang mit Sondereinheiten, nämlich Scharfschützen, in Syrien auf dem Boden aktiv ist. Eine Ausweitung der Bodenaktivitäten schloss Kurtow allerdings aus. Putin hatte bereits zu Beginn der russischen Luftschläge betont, sich nicht in einen Bodenkrieg verwickeln zu lassen.

Im Kreml gilt eine Entwicklung wie in Afghanistan, als die Sowjetunion jahrelang mit immer höheren Verlusten konfrontiert wurde, als unbedingt zu vermeidendes Horrorszenario. (André Ballin, 14.12.2016)