Musikhörend in einer der "Drehpausen". Im Film fesseln Laurence Rupp und Anja Plaschg allein mit Blicken und Stimmen.

Foto: Stadtkino Filmverleih

Wien – Es ist der wohl ungewöhnlichste Liebesfilm des Jahres, den Ruth Beckermann mit Die Geträumten gedreht hat. Es war aber auch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die zwei der bedeutendsten Dichter des vergangenen Jahrhunderts verband.

Stadtkino Filmverleih

Nur einen Monat hatten Ingeborg Bachmann und Paul Celan einander tatsächlich gehabt: im Mai 1948. Sie war gerade zum Philosophiestudium nach Wien gekommen, er auf der Durchreise nach Paris. Und eigentlich stand die Geschichte zwischen ihnen, der Tochter eines überzeugten Nationalsozialisten und dem Sohn von Eltern, die in einem von Hitlers Konzentrationslagern den Tod gefunden hatten. Doch der Briefwechsel, den dieser Frühsommer nach sich zog, währte 20 Jahre. Fast ihr übriges kurzes Leben.

2008 wurde er als Herzzeit bei Suhrkamp publiziert. Beinah ebenso lange war die Verbindung ein Geheimnis. Im Studio 3 des Wiener Funkhauses ließ Beckermann diese Texte einlesen. Zwar hat dort neue Aufnahmetechnik Einzug gehalten, zwischen holzgetäfelten Wänden ist es aber ein dennoch zeitvergessener Ort.

Sprache und Blicke

Zeitverloren, das beschreibt auch das Kunststück, das Beckermann gelungen ist. Zwei schöne junge Menschen wollte sie als Darsteller. Zwar ist Anja Plaschgs Frisur gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig. Von ihnen beiden – neben der als Soap&Skin bekannten Musikerin spielt Burgtheater-Darsteller Laurence Rupp – leben die Szenen. Die Dichterworte der Jungen von damals, sie hallen in den Gesichtern der heute Jungen wider. Nur Sprache und Blicke.

Einmal kommen Plaschg gar die Tränen. Rupp zeigt mehr (berufsbedingte) Distanz. Das passt auch zum Beziehungsgefüge. Denn in die Liebensbekundungen der beiden mischen sich vor allem vonseiten Celans zunehmend Misstöne. Die räumliche Trennung entfremdet sie voneinander, sie bandeln mit anderen an, und er, der bereits bekannt ist, schilt ihren Ehrgeiz. "Ich weiß, dass du mich verabscheust und mir zutiefst misstraust", antwortet Bachmann ihm einmal und kommt auch weiterhin nicht von ihm los.

Dann wieder besprechen sie die (Un-)Möglichkeit, einander zu treffen, und mahnt er, wie vorsichtig sie beim Bügeln im Hotel vorgehen müsse. Alltag eben, so weit möglich. Denn manchmal vergehen Monate zwischen zwei Briefen.

Verschnaufpausen

Den ersten Plan, auch an den Lebensschauplätzen Bachmanns und Celans in Paris, Rom, Zürich zu drehen, hat Beckermann bald verworfen. Stattdessen streifen Rupp und Plaschg in den Einlesepausen durch das Gebäude. Sie wuzeln Zigaretten, Plaschg spielt Klavier, zeigt ihre Tattoos, eine Kussmund-Couch steht im Aufnahmestudio, da legt sie sich hin.

Das braucht es zum einen als Verschnaufpausen, so dicht sind diese Briefe. Jedes Wort scheint bedacht. Ihnen sei "nichts herausgerutscht", kommentiert Plaschg einmal. Gerade deshalb auch ergänzen die spontanen Zwischenspiele die Lesepassagen aber andererseits famos. Sie sind so unbeschwert, dass man ermisst, wofür das Briefeschreiben lohnt.

"Alles muss man zählen können, für alles gibt es eine Form", klagt Plaschg bei einem weiteren Streifzug durchs Funkhaus über Unverständnis für ihre Komponierarbeit. Auch zwischen Bachmann und Celan wird es gewiss solche Gespräche gegeben haben. Ob es für einen Briefwechsel bisher eine cineastische Form gab? Beckermann hat eine behutsame, bestechende gefunden: Sie spielt ihn nicht nach, sondern reflektiert ihn. (Michael Wurmitzer, 16.12.2016)