Facebook steht wegen der Verbreitung von Fake-News durch seine Nutzer in der Kritik

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Die deutschen Regierungsparteien SPD und CDU/CSU sind sich einig: Es sei dringend an der Zeit, Falschmeldungen im Netz stärker zu sanktionieren. Es brauche einen "Straftatbestand für Desinformationskampagnen", forderte etwa die Unionsfraktion; auch die SPD sprach davon, dass Fake-News "Konsequenzen" haben müssten. Während sich die österreichische Politik öfters durchaus an Berlin orientiert, scheint es in diesem Fall umgekehrt zu sein: Denn in Österreich existierte bereits seit 1975 ein Paragraf, der die "Verbreitung falscher, beunruhigender Gerüchte" unter Strafe stellte – und dieser wurde just vor der Debatte um Fake-News, nämlich zum Jahreswechsel 2015 auf 2016, außer Kraft gesetzt.

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Keine Verurteilungen in 20 Jahren

Die Erfahrungen in Österreich zeigen, dass ein entsprechender Paragraf "in der Praxis keinen Anwendungsbereich" findet. So formuliert es Christian Pilnacek, Sektionschef im Justizministerium. Eine Expertengruppe habe die Aufhebung des Paragraphen empfohlen, der in den vergangenen 20 Jahren zu keiner einzigen Verurteilung geführt habe. "Ich wüsste auch nicht ob es eine kluge Entscheidung wäre, gegen derartige Phänomene strafrechtlich vorzugehen", sagt Pilnacek. Besser sei eine gesellschaftliche Debatte sowie Widerrede gegen Falschmeldungen.

"Verbreitung falscher Informationen vor Wahl" noch aktiv

Mit dem Paragrafen 264 existiert freilich noch ein Passus, der auch im Kampf gegen Fake News zum Einsatz kommen könnte. Dort heißt es, dass jeder, der "öffentlich eine falsche Nachricht" verbreite, die geeignet sei "Wahl- oder Stimmberechtigte von der Stimmabgabe abzuhalten" oder deren Wahlverhalten "in einem bestimmten Sinn" zu veranlassen, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu bestrafen sei. Wer falsche oder verfälschte Urkunden nutzt, um Fake-News glaubwürdig erscheinen zu lassen, "ist mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zu bestrafen".

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"Wirksame Gegenäußerung" unmöglich

Allerdings heißt es in dem Paragrafen einschränkend, dass die Verurteilung nur erfolge, wenn die Falschnachricht zu einer Zeit verbreitet werde, "da eine Gegenäußerung nicht mehr wirksam verbreitet werden kann." Sowohl der Wiener Rechtsanwalt Alfred Noll als auch Strafrechtsexperte und Universitätsprofessor Helmut Fuchs denken, dass es sich bei dem Paragrafen quasi um "totes Recht" handle. Auf soziale Medien passe er auch gar nicht mehr, sagt Fuchs. Mit der Formulierung der "wirksamen Gegenäußerung" habe der Gesetzgeber etwa an die Richtigstellung über Zeitungen oder Rundfunk gedacht, erklärt Fuchs. Was aber soll man sich unter einer "wirksamen Gegenäußerung" in Zeiten vorstellen, in denen die meisten Menschen ihre Informationen über dezentrale Medien wie Facebook und Twitter beziehen?

Der renommierte Jurist Noll sieht die praktische Umsetzbarkeit des Paragrafen ebenfalls kritisch. "Ist es schon eine wirksame Gegenäußerung, wenn Van der Bellen im letzten TV-Duell den überraschenden Vorwurf von Norbert Hofer verneint, Spion gewesen zu sein?", fragt sich etwa Noll. Außerdem sei fraglich, wie man den Beweis führen wolle, dass etwas geeignet sei, Wähler von der Wahl oder einem bestimmten Wahlverhalten abzuhalten.

Viele Ermittlungen, kaum Prozesse

Ermittlungen nach dem Paragrafen führen Staatsanwälte dennoch immer wieder. In den vergangenen Jahren habe es 54 Fälle gegeben, die zu vier Anklagen geführt haben. Ermittelt wurde etwa auch gegen den FPÖ-Nationalratsabgeordneten Christian Höbart. Er hatte einen Wahlvorschlag eingebracht, auf dem sich eine 21-jährige Guntramsdorferin ohne ihr Einverständnis wiedergefunden hatte. Der Verdacht auf die "Verbreitung falscher Nachrichten bei einer Wahl" erhärteten sich jedoch nicht, beim Vorwurf der Urkundenfälschung ging Höbart eine Diversion ein.

2012 kam es in der Steiermark zu einem Prozess wegen der "Verbreitung falscher Nachrichten bei einer Wahl". Damals wurde dem Bürgermeister der Gemeinde Lassing vorgeworfen, Falschnachrichten über einen Mitbewerber aus der KPÖ in Umlauf gebracht zu haben. In der Gemeindezeitung hatte es geheißen, die Gemeinde habe dem KPÖ-Kandidaten einst einen Steinbruch und ein Magnesitwerk um "viel zu viel Geld" abgekauft. Auch dieser Prozess endete laut Staatsanwaltschaft Leoben mit einem Freispruch – denn das Gerücht erwies sich nach Aussagen anderer Politiker als wahr. Die "Kleine Zeitung" bezeichnete den Paragraphen damals als "Orchideendelikt", zu dem es "kaum Rechtssprechung" gibt.

Damaliger Bundeskanzler Schüssel geklagt

Die Einsatzmöglichkeiten wären aber vielfältig: Eine Kärntnerin klagte 2003 etwa den damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, weil sie sich von diesem in seinem Pensionsversprechen getäuscht fühlte. 2013 tauchten in Pettenbach unautorisierte Plakate des FPÖ-Kandidaten auf, die diesen mit erhobener Hand zeigten. Auch damals erklärte die Polizei, dass Ermittlungen nach Paragraf 264 folgen könnten. Es deutet aber wenig darauf hin, dass mit dieser Gesetzeslage strafrechtlich wirksam gegen Fake-News in sozialen Medien vorgegangen werden kann.

Rechtsanwalt Noll sieht Bemühungen, Falschnachrichten strafrechtlich zu sanktionieren, insgesamt "juristisch schwierig". Er schlägt vor, die großen Social-Media-Plattformen unter das Medienrecht zu stellen und sie dann zu zwingen, Desinformationskampagnen zu löschen. Strafrechtsexperte Fuchs findet den Gedanken, ein Gesetz gegen Fake-News zu formulieren, zwar "interessant und überlegenswert, weil es um den Schutz der Demokratie geht". Doch gebe es eine "Reihe von Gefahren", da derartige Paragrafen auch ein "klassisches Instrument zur Unterdrückung in autoritären Systemen" seien.

Die Pläne der deutschen Regierungsparteien schreiten in der Zwischenzeit voran. Im Spiegel kündigte SPD-Politiker Jan Oppermann vergangenen Freitag eine härtere Gangart an, was Facebook und dessen Rolle bei Hasspostings und Falschnachrichten betreffe. Am Wochenende schaltete sich dann auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ein, der eine europaweite Regelung gegen Fake-News forderte. (Fabian Schmid, 19.12.2016)