Das Tüpfelchen auf dem i ist das Schwimmbad. Gebaut ist es nach allen Regeln der Fengshui-Kunst. Außen elegant gebogene Holzpaneele, die eher eine Kultur-als eine Sportstätte vermuten lassen, davor ein japanischer Garten. Üppige Lorbeerbäume, wilder Rhabarber, Wasserlilien und ausladende Trauerweiden harmonieren mit dem schwingenden Corpus des Baus. Nichts ist hier, in Fort-Issy-Moulineaux, am Rande von Paris, dem Zufall überlassen.
Das französische Vorzeigeprojekt in Sachen Stadt der Zukunft ist akkurat durchgeplant. Die sternenförmig gruppierten Wohnhäuser lassen Raum für Obstbäume, deren Birnen und Zwetschken später von den 4000 Bewohnern geerntet werden können. Die Wegränder sind ein wenig ungepflegt – wegen der Diversität. Die Farben der Häuser sind aufeinander abgestimmt. Manche sind gelb, andere terrakottafarben, wieder andere weiß. Da und dort hängen an den Balkonen die bekannten Blumentöpfe eines bekannten schwedischen Einrichtungshauses.
Freundlich und ein bisschen bieder. Die Siedlung wirkt wie viele andere Neubausiedlungen auch. Was man von außen nicht sieht: Die Häuser sind vom Keller bis zum Dach voll mit Technik. Die Rollos öffnen und schließen automatisch, beheizt wird mit umweltfreundlicher Geothermie. Viele haben im Haus keine Mülltonne. Ihren Abfall tragen sie zu einer der wenigen Tonnen auf den karg wirkenden Plätzen. Gesammelt wird er unterirdisch und zweimal die Woche von der Müllabfuhr abgesaugt: Pneumatische Müllsammlung heißt das. Willkommen in Issy, der smarten Stadt aus der Retorte.
Globaler Trend
Issy ist eines der zahllosen Projekte weltweit. Überall gibt es smarte Städte. Wien ist ganz vorne dabei mit einer digitalen Agenda und einer niedergeschriebenen Smart-City-Strategie. Dublin, Berlin, Kopenhagen, Barcelona, Amsterdam – sie und andere gefallen sich ebenfalls als schlaue Agglomeration. Die glitzernde Wüstenmetropole Abu Dhabi wollte mit Masdar City bis 2016 einen Superlativ schaffen und die erste kohlendioxid- und abfallfreie Stadt der Welt werden. Die großen Pläne sind kräftig geschrumpft: Statt der 50.000 geplanten Einwohner wohnen derzeit dort ein paar Hundert Studierende, von den Bauvorhaben ist ein Bruchteil realisiert. Das Ziel, absolut emissionsfrei zu sein, hat man verworfen. In China setzen seit 2013 90 Städte auf Smart-City-Development. In Indien werden Smart Cities gefördert, hierzulande wurden unter dem Titel viele Projekte eingereicht. Aus dem Topf Smart-Cities-Initiative des Klima- und Energiefonds standen bisher 28,3 Millionen Euro bereit.
Warum um das Thema so emsiges Treiben herrscht, brachte Klaus R. Kunzmann, emeritierter Professor für europäische Raumplanung, jüngst bei einer Veranstaltung in Wien auf den Punkt: Städte fördern die Digitalisierung, weil sie Ressourcen sparen wollen, weil sie kein Geld mehr haben, weil sie innovative Arbeitsplätze für die nächste Generation schaffen und öffentliche Dienstleistungen verbessern wollen, weil sie im globalen Wettbewerb stehen, weil sie glauben, damit Mobilitätsprobleme zu lösen und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Aber auch, weil Medien und Unternehmen sie drängen und Bürger dies einfordern.
Die Verlockungen der smarten Stadt sind bekannt. Das schlaue Telefon als Schaltzentrale – so das Versprechen – adelt seine Nutzer zu cleveren, gewitzten Bewohnern. Und die Städte wollen reagieren. Mit der entsprechenden Infrastruktur, mit Apps für den öffentlichen Verkehr, mit Ladeinfrastruktur für saubere E-Mobilität, mit E-Government-Projekten, die Bürger und Verwaltung einander näher bringen und vieles mehr. Doch mittlerweile wachsen auch die Zweifel, dass dies alles zum Wohle der Bürger geschieht.
Ob es den Menschen in Issy gefällt, erfährt man nicht, denn die Straßen sind fast menschenleer. Eine einsame Mutter schiebt ihren Kinderwagen durch die Straßen. Sie genieße hier nur die Ruhe, sagt sie. Nur der Supermarkt hat am frühen Nachmittag geöffnet, und auch die junge Frau, die hier arbeitet, wohnt nicht hier. 8000 Euro pro Quadratmeter für Eigentum entsprechen dem Pariser Durchschnitt. In der Kommune Issy liegt er bei 7000 Euro. Einige wenige Autos sind zu sehen. Schneller als 25 Stundenkilometer dürfen sie nicht fahren.
Wer mit dem Wort smart nicht so recht etwas anfangen kann, bekommt Nachhilfe von Stadtkommunikator Eric Legale. 2009 haben hier noch die Mitglieder des Militärs gewohnt, bis die Stadt dem Staat die 14 Hektar abgekauft hat und an Bauträger weitergab. 340 Millionen haben diese investiert, die Stadt hat 120 Millionen draufgelegt, erzählt Legale in einer vom Militärbau übrig gebliebenen Kasematte, die nun ein Kommunikationsraum ist. Etwas kühl ist es hier, denn man achtet darauf, dass nicht überheizt wird. Für die Bewohner gab es beim Einziehen einen gemeinsamen Haushaltsgerätekauf, um einen besseren Preis herauszuschlagen. Wie in einem großen Hotel gibt es eine Art Conciergerie: jemanden, der Hemden bügelt, jemanden, der den Hund Gassi führt. Wie viel der Service kostet, weiß Legale nicht, wohl aber kennt er das große Ziel: ökologisch, nachhaltig, ressourcenschonend leben – die großen Schlagworte, mit denen Smart City in Verbindung gebracht wird.
Das Konzept hat eine erstaunliche Karriere hingelegt. Seit den 2000er-Jahren wird es von Akteuren in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Stadtplanung verwendet, um technologiebasierte Veränderungen und Innovationen in urbanen Räumen zusammenzufassen. Böse Zungen sagen, IT-Riesen hätten, nachdem das Jahr-2000-Problem, (das weltweit Computerzusammenbrüche prognostizierte) aus dem Weg geräumt war, neue Geschäftsfelder gesucht – und gefunden.
Grüner, sauberer – einfach intelligent, so wirbt ein großer Konzern für Lösungen gegen Umweltverschmutzung, Geldknappheit und Bevölkerungswachstum. Die Smart City soll für ein besseres Morgen stehen, vernetzte und softwaregesteuerte Versorgungssysteme Kosten sparen. Wenn das nicht verlockend klingt.
Thomas Ritt kann damit wenig anfangen. Der Ökonom und Leiter der Abteilung Kommunalpolitik der Arbeiterkammer Wien ist er von Berufs wegen mit dem Thema befasst. Gerade eben finalisiert er einen Tagungsband, der sich der Sache in vielen Facetten nähert. Ritt betrachtete das Thema aus gesellschaftspolitischer Sicht. Neben ihm wüssten auch viele andere nicht, was Smart City bedeutet. "Das bisherige Zukunftskonzept Nachhaltigkeit kommt ohne Smart City aus und berücksichtigt auch ökonomische, ökologische und sozial nachhaltige Aspekte."
Was Ritt nicht gefällt, ist der Umstand, dass im Zusammenhang mit Smart City oft der Einsatz von Technologie diskutiert wird, um Probleme zu lösen. "Was nützt mir eine App, um mich für einen Kindergartenplatz anzumelden, wenn es keine Plätze gibt?"
Die Wirtschaft sieht das naturgemäß anders. Ungeheure Möglichkeiten tun sich laut verschiedenen Prognosen auf. Der Beratungsriese Frost & Sullivan macht bis zum Jahr 2020 einen Markt von 1,56 Billionen US-Dollar aus. Eine Summe, 20-mal so hoch, wie in Österreich von Firmen und Staat in einem Jahr investiert wird.
In Issy haben einige Player, die sich dabei lukrative Geschäfte ausrechnen, ihren Sitz: Cisco, Huawei, Microsoft, Schneider Electric und andere. Viele der Menschen, die in einem der 13 ellipsenförmigen sechsstöckigen Gebäude wohnen, arbeiten bei einem IT-Unternehmen. 50 Prozent aller Arbeitsplätze sind in der 65.000-Einwohner-Stadt der IT-Branche zuzurechnen. Zur Freude der Kommune, wie Legale stolz erklärt: "Wir sind wahrscheinlich die reichste Gemeinde Frankreichs."
Stadtplaner Kunzmann hält seinem Publikum in Wien die weniger smarten Konsequenzen vor Augen: die Abhängigkeit von wenigen globalen Konzernen, Apple, Google, Microsoft, Facebook und Co, die durch Big Data bedrohte Privatsphäre, Risiken, wenn die neuen Netze zusammenbrechen oder gehackt werden, Polarisierung durch ungleichen Zugang zu digitalen Technologien.
Kommunalpolitik-Experte Ritt fühlt sich an die Vergangenheit erinnert: "In den 1980er-Jahren gab es den Öko-Schmäh, heute haben wir den Smart-City-Schmäh." Ritt erzählt von einem Besuch einer Smart-City-Messe in Barcelona: "Da will man innnerstädtische leerstehende Garagen mit WLAN ausstatten, als ob das irgendein Verkehrsproblem löste."
Tanja Thron würde sich dagegen öffentliches WLAN wünschen. Die 38-jährige Werbefachfrau und Telekommunikationsexpertin wohnt mit Familie seit einem Jahr in Aspern, dem heimischen Vorzeigeprojekt in Sachen Smart City und eine der größten Baustellen Europas. Nach den Klagen der ersten Bewohner, die eingezogen sind, sei es hier mittlerweile richtig urban und nett geworden, sagt sie. Ein bunter Mix an Geschäften – vom Fotofachhändler über das Zuckerlgeschäft bis zur Buchhandlung: Die Unternehmer seien voll Tatendrang.
Vor zwei Jahren bezogen die ersten "Pioniere" die Seestadt. Am Ende soll die urbane Smart City Wohnraum für 20.000 Menschen und Arbeitsplätze für 15.000 bieten. Von Preisen wie im Hightech-Fort von Issy ist man durch eine Mischung an geförderten und frei vergebenen Projekten weit entfernt. Der Quadratmeterpreis, für jene, die kaufen wollen, liegt beim Donaustädter Durchschnitt von rund 4500 Euro. Noch. Künftig dürfte er steigen. U-Bahn-Anschluss, Parks, ein See, eine Einkaufsstraße: alles mittlerweile in Betrieb. Doch was macht eine Stadt für ihre Bewohner smart?
Thron gefällt es hier. Von zu viel Technik kann sie nicht berichten, im Gegenteil: "Ich hätte mir mehr Pilotprojekte erwartet. "Smart fände sie ein Carsharing-Angebot, einen Kinderarzt und einen Kindergartenplatz. Bisher hat sie keinen bekommen.
1200 Kilometer entfernt sitzt Anne Charreyon-Perchet, Smart-City-Beauftragte des französischen Umweltministeriums, in einem Büroturm im 30. Stock. In La Defense, Euopas größter Bürostadt. Vor 25 Jahren hielt man solche Bauten für das Maß aller Dinge. "Man hat in Sachen Smart Cities einiges gelernt", sagt sie. "Die ersten Projekte waren eher von Technikern. Mittlerweile ist klar, es geht auch um soziale Innovation." Entsprechende Ideen werden jetzt gesucht – in Frankreich, aber auch in Wien.
Wenn Charreyon-Perchet aus dem Fenster schaut, sieht sie bis nach Issy. Dort im Fengshui- Bad hüpfen die Kinder fröhlich jodelnd ins Wasser. Mitzureden hatten ihre Eltern bei dem Projekt wenig. Dafür können die Pariser über den Einsatz von 100 Millionen Euro im Stadtbudget abstimmen. Manchen dauert es offenbar zu lange, bis ihre Städte Partizipationsprojekte konzipieren.
In Berlin haben die Bürger den Bebauungsplänen der Stadt am einstigen Flughafen Tempelhof durch einen Volksentscheid eine Absage erteilt. Jetzt reden sie eifrig beim Entwicklungsprozess für das Flugfeld mit – ganz smart via Online-Plattform. (Regina Bruckner, 18.12.2016)