Ein trauriges, aber auch hinreißend komisches Buch: In "Wie das Leben geht" (Picus Verlag) erzählt Amaryllis Sommerer auch ihre eigene Lebensgeschichte.

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Wien – Nein, Franz ist kein Vater, auf den eine Tochter stolz sein kann. Kein brillanter Redner, kein mutiger Widerstandskämpfer, kein kunstsinniger Intellektueller, keiner, der die Karriereleiter bis ganz nach oben schaffte. Franz ist einer, der stets unten blieb. Und immer tiefer fiel. Und verfiel. Sicher, als Spieler hatte er schon glückhafte Momente. Und als er die schöne Helli kennenlernte, die Liebe, das Wunder seines Lebens. Aber sonst?

Ein patschertes Leben: Ein kriegstraumatisierter Frühpensionist, der seine beschissene Zeit als Hitlers Kanonenfutter verklärt. Ein Säufer, gepeinigt von Ängsten und dunklen Träumen, denen er in tage- und nächtelangen Dauerräuschen zu entkommen sucht. Verloren im Ottakringer Gemeindebau und in einer Nachkriegswelt, die für Loser wie ihn nur wenig Mitleid und keine Aufmerksamkeit hat.

"Das Beste, was ich je zusammengebracht habe, ist Katja", sinniert Franz einmal. Doch Katja, seine Tochter, war nach der Matura blitzartig aus und vor der leidvollen, sprachlosen Tristesse der Eltern geflüchtet. Erst als der Vater die Diagnose Lungenkrebs im Endstadium bekommt, kommt sie wieder öfter "nach Hause ... Ein neues Doppelleben hat sich aufgetan. Es spaltet ihn nicht mehr auf in einen versoffenen Herumtreiber bei Nacht und einen versagenden Familienvater bei Tag, nein, jetzt teilt es seine letzten Stunden, die er noch hat, in sich verselbstständigende Wach- und Traumzustände. Ohne Zukunft holt ihn jetzt die Vergangenheit zu sich."

Frei von Kitsch

Ohne Pathos, frei von Kitsch, mit lakonischem Wortwitz erzählt die österreichische Schriftstellerin Amaryllis Sommerer darüber, Wie das Leben geht (Picus-Verlag, 268 Seiten). Und auch darüber, dass einem das Sterben die letzten Illusionen abräumt: "Helli wird man die Witwenpension überweisen. Das wird ihr von ihm bleiben ... Der Gedanke, Helli zurückzulassen, die kein anderes Leben kennt als eine unglückliche Ehe in diesen vier Wänden, treibt Franz schon wieder die Tränen in die Augen. Dieser Schmerz ist nicht auszuhalten. Diese Schuld. Das kann doch nicht alles sein, was bleibt! Doch. Kann es."

Es ist ein trauriges, gleichzeitig aber auch komisches Buch. Und es ist, auch, Sommerers eigene Lebensgeschichte. Wie ihre Protagonistin Katja wuchs auch sie im Ottakringer Arbeitermilieu mit "null kultureller Bildung und ohne Bücher" auf. Auch sie kehrte den Eltern den Rücken. Und gab sich als ultimatives Zeichen der Loslösung von ihren Wurzeln einen neuen Vornamen: "Es gibt ja die Theorie, dass der Klang des Namens, seine Bedeutung, auf den Träger, die Trägerin abfärbt. Ich wollte die Wirkung der Amaryllis. Sie ist mit der kräftigen roten Blüte, ihrem saftigen Stamm ein Sinnbild für mich."

Erst dreißig Jahre nach dem Tod des Vaters wagte sie sich an diese Erinnerungsarbeit. Wie das Leben geht ist kein jammeriges Klagebuch, auch keine romantisierende Verklärungsprosa, wohl aber eine posthume liebevolle Umarmung. Sommerer gibt ihrem Vater und mit ihm einer ganzen Generation von Vätern und Großvätern, die so gern heldenhaft gewesen wären, aber doch nur starr vor Scham in Lebenslügen und heimliche Panikattacken flüchteten, eine Stimme. Für ihre Schuldgefühle, zerrütteten Seelen- und Gemütszustände fehlte den Kriegsheimkehrern in den 1950er- und 1960er-Jahren das Vokabular, die richtigen Worte. Sommerer fand sie, ohne zu verurteilen oder zu richten.

Wie das Leben geht ist ein hinreißendes, mitfühlendes, wunderbares Stück Literatur über die Verwerfungen des Lebens und die Unwegsamkeiten Liebe. (Andrea Schurian, 17.12.2016)