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Islamiste zündeten Busse an, die Verwundete, Frauen und Kinder aus belagerten schiitischen Dörfern in Sicherheit bringen sollten.

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Beirut/Damaskus – Die Evakuierung der Rebellengebiete im Osten der umkämpften syrischen Großstadt Aleppo ist wieder aufgenommen worden. Mindestens fünf Busse mit Hunderten Bewohnern kamen in der Nacht auf Montag in Gebieten westlich der Metropole an, die von den Aufständischen kontrolliert werden. Dies berichteten Aktivisten und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Zuvor war die Aktion vorläufig gestoppt worden. Auch die geplanten Evakuierungen aus den schiitischen Dörfern Fua und Kafraja in der nordwestlichen Provinz Idlib, die von den Rebellen belagert werden, waren ausgesetzt worden. Islamisten hatten mindestens 20 Busse für Evakuierungen aus den beiden Dörfern in Brand gesetzt.

Sicherheitsrat stimmt über Resolution ab

Der UNO-Sicherheitsrat wird nach Angaben von Diplomaten am Montag voraussichtlich über eine gemeinsame Resolution zur Entsendung von Beobachtern in die syrische Stadt Aleppo abstimmen. Einige Entsandte müssten noch Rücksprache mit ihren Hauptstädten halten, sagte der französische Botschafter bei der UNO, Francois Delattre, am Sonntag.

Sein russischer Amtskollege Witali Tschurkin sprach aber von einem "guten Text" und kündigte an, dass am Montag um 15.00 Uhr (MEZ) abgestimmt werde. Russland hatte zuvor mit einem Veto gegen eine französische Vorlage für die Entsendung von Beobachtern nach Aleppo gedroht und einen eigenen Resolutionsentwurf angekündigt.

Der von Frankreich eingebrachte Resolutionsentwurf sah vor, dass sich der Sicherheitsrat für eine Überwachung der Evakuierungen in Aleppo durch Beobachter ausspricht. Der Text hält fest, dass "zehntausende belagerter Einwohner von Aleppo" Hilfe brauchen und in Sicherheit gebracht werden müssen. Die Beobachter sollten demnach den Transport von Zivilisten überwachen und ihren Schutz gewährleisten. Russland hatte den Text am Sonntag als "ein Desaster" abgelehnt. Nach fast vierstündigen Gesprächen wurde dann der Text für Montag erarbeitet.

Nach Angaben von Delattre konnten sich die 15 Länder im Sicherheitsrat auf einen Kompromiss-Text verständigen, der auf dem französischen Vorschlag basiere. US-Botschafterin Samantha Power erwartete für Montag eine einstimmige Verabschiedung des Textes im Sicherheitsrat.

Islamisten verhindern Rettung von Zivilisten

Am Samstagabend kamen 25 Busse in der Gegend um die schiitischen Dörfer Al Fu'ah und Kafarya an, um rund 1.500 Verletzte, Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen, wie syrische Regierungskreise mitteilten. Nach Angaben der "Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte" von Sonntag verhindern allerdings islamistische Rebellen den Abtransport.

Die früher unter dem Namen Al-Nusra-Front bekannte Rebellengruppe hatte erst die Fahrt der Evakuierungsbusse in die beiden rund 45 Kilometer südwestlich von Aleppo gelegenen Ortschaften in der Provinz Idlib blockiert, teilte die oppositionsnahe Beobachtungsstelle am Sonntag mit. Später seien die Busse in Brand gesetzt worden, berichtete das staatliche syrische Fernsehen. Bei den Tätern handle es sich um "bewaffnete Terroristen". Einige Busse und Fahrzeuge des Roten Kreuzes sollen dennoch den Eingang der von Rebellen belagerten Dörfer al-Fua und Kefraja erreicht haben.

Dass Verletzte aus den beiden Dörfern gebracht werden, war eine Bedingung der Kämpfer des Regierungslagers für die Fortsetzung der am Freitag abgebrochenen Evakuierung Ost-Aleppos. Am Sonntag sind dort staatlichen Medien zufolge nach zweitägiger Unterbrechung langsam wieder Evakuierungsfahrten aufgenommen worden. Unter Aufsicht des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes seien die ersten Busse in die zerstörten Stadtteile Sabdiyeh, Salaheddin, al-Mashad und al-Ansari im Osten Aleppos gefahren, um die restlichen dort ausharrenden Kämpfer und Zivilisten abzuholen, berichteten die syrischen Medien am Sonntag.

Die Führung in Damaskus und die Opposition hatten sich nach dem Ausbruch neuer Gefechte in Aleppo am Freitag gegenseitig die Schuld für den Abbruch der Transportfahrten zugeschoben. Die Vereinten Nationen schätzen, dass noch rund 30.000 Menschen im Osten der Großstadt ausharren.

Stoltenberg befürchtet Eskalation

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg rechtfertigte indes die militärische Zurückhaltung des Militärbündnisses im Syrien-Konflikt. In manchen Fällen seien "die Kosten des Einsatzes militärischer Mittel größer als der Nutzen", sagte Stoltenberg der "Bild am Sonntag". "Mit Blick auf Syrien sind die NATO-Partner zum Ergebnis gekommen, dass der Einsatz von Militär eine schreckliche Situation noch schrecklicher machen würde."

Die Lage in Syrien bezeichnete Stoltenberg als "furchtbare menschliche Katastrophe". Ein Militäreinsatz könnte aber zu einer weiteren Eskalation beitragen. "Wir würden riskieren, dass es ein größerer regionaler Konflikt wird oder dass noch mehr Unschuldige sterben", sagte der Norweger. "Wenn wir auf jedes Problem, jede humanitäre Katastrophe mit militärischen Mitteln antworten würden, würden wir in einer Welt mit noch mehr Kriegen und Leiden enden."

Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kritisierte in der Zeitung das Vorgehen der russischen und syrischen Streitkräfte. "Weder das syrische Volk noch die Weltgemeinschaft werden die Gnadenlosigkeit von Aleppo je vergessen, die durch nichts zu rechtfertigen ist."

Syrien-Beratungen um eine Woche vorgezogen

Russland, die Türkei und der Iran wollen ihre Beratungen über die Lage in Syrien um eine Woche auf kommenden Dienstag vorziehen. Die Außenminister der drei Länder wollten sich am 20. Dezember in Moskau treffen, teilte das iranische Außenministerium am Samstag in Teheran mit.

Zuvor hatten die beiden Chefdiplomaten Russlands und Irans, Sergej Lawrow und Mohammed Javad Zarif, über die Situation in Syrien beraten und entschieden, dass das Dreiertreffen bereits am Dienstag stattfinden solle, wie die Nachrichtenagentur Irna meldete.

Die Türkei, Russland und der Iran unterstützen im Syrien-Konflikt entgegengesetzte Seiten: Russland und der Iran sind die wichtigsten Verbündeten von Staatschef Bashar al-Assad und unterstützen die Regierungstruppen auch militärisch. Die Türkei hilft in Syrien dagegen oppositionellen Kräften im Kampf gegen Jihadisten. Das türkische Militär geht in Syrien zudem gegen kurdische Milizen vor, um deren Vormarsch dort zu stoppen.

Proteste in Europa

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warnte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" davor, dass Russland und die Türkei eine gesonderte Absprache über Syrien treffen könnten. "Eine der gefährlichsten Entwicklungen ist ein russisch-türkisches Arrangement in Syrien", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Hier drohe "ein weiteres diplomatisches Desaster für den Westen".

Aufgrund der katastrophalen Verhältnisse in Aleppo plädierte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), für ein Notfallprogramm. "Die EU-Staaten sollten gemeinsam ein begrenztes Kontingent für 20.000 Syrer zur Verfügung stellen, um eine humanitäre Katastrophe infolge der Eroberung Aleppos zu vermeiden", sagte er der "Bild am Sonntag".

Am Samstag demonstrierten mehrere Tausend Menschen neben Wien in verschiedenen deutschen Städten und auch in London gegen den Krieg. In Stuttgart waren rund 2200 Menschen dabei, in Berlin beteiligten sich an zwei Demonstrationen nach Polizeiangaben insgesamt rund 2100 Menschen, in Mannheim rund 1500, in Hamburg 800. Auch in Wien kamen Hunderte Menschen zu einer Solidaritätskundgebung für die Bevölkerung in Aleppo auf den Heldenplatz. (APA, AFP, 18.12.2016)