Berlin – "Aus Respekt vor den Opfern werden wir da nicht weiter draufhalten", sagt der Reporter der "Berliner Morgenpost" gleich mehrfach in seinem Handyvideo, das er live über Facebook unmittelbar nach dem Anschlag vom Weihnachtsmarkt streamte – schon bevor ihn Passanten beschimpfen und ihm das Smartphone aus der Hand schlagen: "Du Penner, wat soll denn det? Das auch noch filmen, wa, du Vollidiot?" Und danach.

"Unter dem Lkw"

Aber erst umrundet der Journalist der "Morgenpost" noch eine Zeile von Ständen, um das Führerhaus des Sattelschleppers zu zeigen, der in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz bei der Gedächtniskirche gesteuert wurde: "Die Front ist total zerstört, die Scheibe des Fahrerhauses gesplittert. Vorne sieht man noch Reste von Bretterbuden. Das Bild ist wirklich schrecklich. Es liegen viele Menschen auf dem Weihnachtsmarkt, die behandelt werden. Unter dem Lkw liegen vermutlich auch noch Menschen. Im Führerhaus liegt wahrscheinlich noch ein Mensch."

Nach heftigen Protesten stellte die "Morgenpost" das Video auf ihrer Facebook-Seite in der Nacht offline und veröffentlichte eine bearbeitete Fassung mit Auszügen.

Die (traditionellen) Medien reagierten auf die Attacke in Berlin besonnener als nach dem Anschlag in München. In München hielten falsche Meldungen über angeblich geflüchtete weitere Täter und angebliche weitere Anschläge Medien und Bevölkerung und somit Behörden in Atem, so professionell die Münchner Polizei auch – insbesondere über Twitter – informierte.

Berliner Polizei auf Twitter

Die Berliner Polizei kommunizierte ab 20.41 Uhr und etablierte den Hashtag #Breitscheidplatz. Mehr als 40.000 User folgten ihr an dem Abend. Sie appellierte an die Bevölkerung, aber auch an die Medien, keine Videos – insbesondere solche von Opfern – zu zeigen. Zu spät jedenfalls für das Livevideo der Morgenpost.

"Erst Fakten sammeln"

Die ARD unterbrach kurz nach 21 Uhr ihre Hauptabendquizshow "Wer weiß denn sowas" für aktuelle Berichterstattung. RTL kippte dafür eine Folge "Team Wallraff" aus dem Programm. Das ZDF ließ erst den ersten Teil des Tunnelhistoriendramas "Gotthard" auslaufen, bevor es mit 92 Minuten "Heute Journal spezial" einstieg. Intendant Thomas Bellut verteidigte das so: "Wir haben uns entschieden, erst Fakten zu sammeln, bevor wir das Programm unterbrechen."

Der ORF spielte "Gotthard" ebenfalls fertig, strich Reisezeit und zog die "ZiB 2" auf 21.43 Uhr vor. 781.000 verfolgten sie im Schnitt.

Nicht vergleichbar, aber eindrucksvoll: Der deutsche Nachrichtensender N24 streamte seine TV-Berichterstattung Montagabend auf Facebook und kam auf 14,7 Millionen Abrufe, ein einsamer Spitzenwert für deutsche Inhalte. (red, 20.12.2016)

"Das ist Berlin": Videobeitrag der "Berliner Morgenpost" zum Anschlag auf Facebook.
Foto: Facebook/BerlinerMopo/Screenshot