"Nocturnal Animals" erzählt vom Einbruch des Bösen und macht Jake Gyllenhaal zur Leidensfigur, die das Schlimmste nicht verhindern kann.

Foto: Focus Features

Wien – Fettleibige Frauen, die wie Pin-up-Girls mit den Hüften wackeln oder sich gleich grotesken Fleischobjekten auf Podesten herumfläzen. Die abgeschmackte Performancekunst, welche die Galeristin Susan (Amy Adams) in Los Angeles ausstellt, sieht aus, als gälte es, das vulgäre Durchschnittsamerika eines Donald Trump einer betuchten Elite auf dem Porzellanteller zu servieren. Tom Fords neuer Film Nocturnal Animals beginnt mit solchen provokanten Bildern. Ein bisschen so, als hätte sich David Lynch mit Ulrich Seidl und John Waters zum Tête-à-Tête getroffen.

Doch dies ist nur die schrille Ouvertüre zu einem verschachtelten Beziehungsdrama, das denkbar unterschiedliche Welten zueinander hart in Beziehung setzt. Sie erzählen vom Ennui der geschützten, abgesicherten Lebenszonen der Bessergestellten und Schönen, von Gefahr und nackter Gewalt, die einen außerhalb dieser Blasen begegnen kann, und schließlich von den Hoffnungen und Erwartungen, die sich mit dem Alter allmählich immer mehr verflüchtigen.

Nocturnal Animals – Trailer
ONE Media

Tom Ford, der US-Designerstar, hat 2009 mit A Single Man ein äußerst stilsicheres Filmdebüt um das sublime Leiden eines schwulen Universitätsprofessors im Jahr 1962 vorgelegt. Nun kehrt er mit Nocturnal Animals zurück, der Verfilmung eines Romans von Austin Wright, und wieder ist "Style" gegenüber Substanz bestimmend.

Einbruch des Bösen

Das Los eines Ästheten, der sich in Posen gefällt? Mag sein. Doch ein Neo-Noir, der mit unheilvollen Atmosphären und Anmutungen operiert und mit luxuriösen Oberflächen Irritationen erzeugt, ist auch nicht zu verachten. Zumal sich dieser wiederholt zu Zweideutigkeiten, ja zum Anflug einer Satire über Los Angeles' selbstverliebte Schickeria aufrafft und dem Hochglanz damit Reflektiertes abgewinnt.

Alles beginnt mit einer Überraschungslektüre. Susan erhält von ihrem früheren Lebensgefährten Edward (Jake Gyllenhaal) die Fahnen seines neuen Buches geschickt. Das Drama um eine Familie, die auf den nächtlichen Highways von Texas einer Bande von Straßenhooligans in die Hände fällt, ist der erste Film-im-Film von Nocturnal Animals. Das Phantasma vom Einbruch des Bösen inszeniert Ford als Variante eines Rape-Revenge-Albtraums mit bitterer Konsequenz.

Der Vater (wieder Gyllenhaal) wird in dieser Geschichte zur Leidensfigur, der die Entführung seiner Frau und Tochter – und noch Schlimmeres – nicht verhindern kann. Unfähig zur Gegenwehr, bleibt dem seiner Autorität beraubten Mann nur das Vertrauen auf einen Sheriff mit Stetson-Hut (Michael Shannon), der ihm mit finsterer Miene und Sarkasmus den Weg zur Rache weist.

Verunsicherungsstrategie

Der Umweg in irrationale Gewalt – ein beliebtes Motiv in unsicheren Zeiten, man denke nur an Edgar G. Ulmers B-Movie-Klassiker Detour (1945) – will nicht nur das Publikum emotionalisieren, sondern hat in Susan seine bevorzugte Rezipientin. Tom Ford kehrt wiederholt zur Leserin (mit Tom-Ford-Hornbrille?) zurück, zeichnet die Wirkung der Lektüre auf ihrem ebenen Gesicht nach, sucht, fast schon zu forciert, Entsprechungen zwischen den Geschichten in Farben oder Körperhaltungen. Die auch in passiven Rollen souveräne Amy Adams muss wie im Science-Fiction-Drama Arrival einmal mehr die Interpretationsarbeit leisten.

Dass es um sie selbst geht, macht spätestens die dritte Ebene des Films deutlich. "Nocturnal Animal", nachtaktives Tier, hat Edward die unruhige Susan selbst einmal genannt. Als Zuschauer wird man in Rückblenden Zeuge, wie ihre Liebe zuerst an Gegensätzen wächst, dann aber zunehmend an Klassenunterschieden und unvereinbaren Erwartungshaltungen zerbricht. Susan wählt die Sicherheit, die Ruhe und damit letztlich auch die Leere und Langeweile.

Edwards Buch ist jedoch nicht nur eine Verunsicherungsstrategie oder eine plumpe Retourkutsche, sondern auch der seltsame Beweis seines kreativen Überlebens. In seinen Gewaltfantasien steckt auch eine Menge libidinöse Energie. Diesen symbolischen Gehalt seines Dramas hat Ford jedoch glücklicherweise nicht überbeansprucht. Er wahrt, zumindest in der Originalfassung des Films, einen oft faszinierenden Tonfall zwischen Ernst und Überzeichnung, den man ruhig campy nennen und manchmal auch überkandidelt finden darf. (Dominik Kamalzadeh, 21.12.2016)