Rolf Tophoven warnt vor einer pauschalen Verurteilung von Flüchtlingen als potenzielle Terroristen.

Foto: Robert Newald

STANDARD: Nach den Attentaten in Würzburg und Ansbach in diesem Jahr ist Berlin nun der erste große Anschlag in Deutschland. Wann ist das Land zur Zielscheibe der Terroristen geworden?

Rolf Tophoven: Deutschland ist schon länger im Fadenkreuz des Terrorismus. Nach der Etablierung des "Islamischen Staats" in Syrien und dem Irak wurden Europa und auch Deutschland zum Ziel. Die Bundeswehr unterstützt ja im irakischen Erbil die Ausbildung der kurdischen Peschmerga im Kampf gegen die Terrormiliz und fliegt auch Aufklärungsflüge über IS-Gebiet. Damit stellt es ein Feindbild für die Terroristen dar.

STANDARD: Wussten die deutschen Behörden von der Gefahr eines solchen Anschlags?

Tophoven: Die deutschen Sicherheitsbehörden haben immer von einer hohen abstrakten Gefahr gesprochen. Darunter kann man sich kaum etwas Konkretes vorstellen. Seit einigen Monaten wird dieser Begriff nicht mehr benutzt. Man wusste, dass ein Anschlag jederzeit passieren kann. Nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach war klar, dass der Terror in Deutschland angekommen ist.

STANDARD: Für einen Anschlag mit Schusswaffen oder Bomben braucht es einen großen Planungsaufwand, ein Attentat mit einem Lastwagen hinterlässt im Vorfeld wenige Spuren. Ändert sich das Vorgehen der Terroristen?

Tophoven: Etwa im Vergleich zu den Anschlägen durch die Rote Armee Fraktion hat sich der Modus Operandi der Terroristen sicher geändert. Heute reicht ein Lastauto, und jeder kann eine terroristische Operation durchführen. Der Anschlag in Nizza am 14. Juli war sicher das Vorbild zu dem Attentat in Berlin, doch gibt es ein Schlüsseldatum: den 14. September 2014. Der damalige Propagandachef des IS hat dazu aufgerufen, alle verfügbaren Mittel wie Messer, Gift und auch Fahrzeuge zu verwenden, um Ungläubige zu töten. Das ist hybride Kriegsführung, ohne Panzer und Waffen.

STANDARD: Wie kann man gegen solche Anschläge vorgehen?

Tophoven: Einen Anschlag mit einem Auto oder Lastwagen wird man nie hundertprozentig verhindern können. Es wäre nun fatal, eine öffentliche Sicherheitsdebatte loszutreten, die nach vermeintlichen Lücken sucht. Es gibt keinen Königsweg der Terrorbekämpfung. Ein US-Experte hat einmal gesagt, dass der Kampf gegen Terrorismus ein Marathonlauf ohne Ziellinie ist. Der Vergleich hat mir gut gefallen.

STANDARD: Das heißt, die Behörden sind machtlos?

Tophoven: Die Nachrichtendienste müssen versuchen, so viel wie möglich über den potenziellen Feind herauszufinden. Dabei müssen sie über Grenzen hinweg zusammenarbeiten. Soviel ich weiß, funktioniert die Kooperation zwischen Deutschland und Österreich sehr gut, doch laut Experten hapert es bei der Zusammenarbeit zwischen deutschen und französischen Nachrichtendiensten. Die französische Behörde soll resistenter sein. Das muss aufhören. Internationale Kooperation ist das A und O der Stunde.

STANDARD: Beim ersten Verhafteten soll es sich um einen Flüchtling gehandelt haben. Es stellte sich zwar heraus, dass der Mann wahrscheinlich nicht der Täter ist, doch sind bereits früher Terroristen als Flüchtlinge eingereist. Wie kann man das verhindern?

Tophoven: Man darf jetzt nicht den Fehler machen und den Flüchtlingen die Schuld geben. Man darf natürlich diskutieren, wie viele wir aufnehmen können, aber man darf nicht diskutieren, ob alle potenzielle Terroristen sind. Natürlich gab es aber zu Beginn der Willkommenskultur in Deutschland eine gewisse Naivität, dass der IS diese offenen Grenzen nicht nutzen würde. Doch er hat sie genutzt. Alle Flüchtlinge kann man aber sicher nicht durchleuchten.

STANDARD: Sie haben in einem früheren Interview gesagt, dass nicht überall, wo IS draufsteht, auch IS drin ist. Sollte man nicht vorsichtig sein, bevor man gleich von islamistischem Terror spricht?

Tophoven: Es ist sicher, dass sich Terrororganisationen normalerweise schnell bekennen. Doch es kann auch taktische Gründe haben, dass sich der IS erst nach ein, zwei Tagen zu einem Anschlag bekennt. Es kann auch sein, dass sich der Attentäter durch die Parolen der Terrormiliz radikalisiert hat und gar keinen Kontakt zur Organisation selbst hatte. Mein Zitat habe ich nach einem Suizidanschlag getätigt. Es ist möglich, dass sich ein Suizidtäter kurz vor seinem Tod mit einer Bekennerschaft "schmückt", weil er weiß, dass seine Tat so erhöht wird.

STANDARD: Wie sollte Europa auf diesen Anschlag reagieren?

Tophoven: Man darf nicht reflexartig nach schärferen Gesetzen rufen. Es braucht eine nüchterne Analyse der Hintergründe der Tat. So groß die Trauer über die Opfer ist, darf es jetzt keine hektische politische Beschuldigungsorgie in der öffentlichen Debatte geben. (Bianca Blei, 20.12.2016)