Pisa testet nur auswendig gelerntes Wissen und hat mit Bildung wenig zu tun.

Foto: APA/dpa/Armin Weigel

Schon vor zwei Jahren artikulierte der Katholischen Familienverband im Rahmen einer Enquete Zweifel daran, "ob Pisa & Co unsere Kinder klüger machen", indem im Detail folgende Fragestellungen zur Diskussion standen: Was bringen Bildungstests? Wem nützen sie? Was bewirken sie?

Instrumentalisierung

Auf der Basis eines rein produktorientierten Leistungsbegriffes wird bei Pisa die punktuelle Abrufbarkeit eingelernten reproduzierten Wissens überprüft. Die Lernenden werden dabei gewissermaßen entpersonalisiert. Lernen wird zum "Einlernen" vordergründig verwertbarer und für die Gesellschaft nützlicher Fertigkeiten degradiert. Eine derartige Instrumentalisierung von Menschen mag einer Wirtschaftsorganisation wie der OECD anstehen; in einer Schule, die sich als Ort der Menschenbildung versteht, hat sie nichts verloren.

Wissen ist nicht gleich Können

Fragt man sich nach der Bedeutung der in den gängigen Bildungstests gemessenen Leistungen für den einzelnen Lernenden im Sinne eines persönlichen "Mehrwerts", so ist jenes eingelernte "Wissen", auf das der Pisa-Test fokussiert ist, schnell als die unterste Stufe in der Hierarchie anstrebbarer Kompetenzen entlarvt. Gerade den Nützlichkeitsfetischisten – und bei diesen handelt es sich nicht eben um die Gralshüter richtig verstandener Bildung – müsste einleuchten, dass bloßes "Wissen" erst dann nach außen hin wirksam werden kann, wenn es zu "Können" aktiviert wird.

Um den Lernenden ihre jeweilige "individuelle Leistung" oder gar ihre "personale Leistung" im Sinne eines Persönlichkeitswachstums bewusst erlebbar zu machen, bedarf es geeigneter Rückmeldesysteme – aber nicht solcher, wie sie in den gängigen "Bildungstests" gehandhabt werden. Fortschrittliche Schulen haben dafür ihr eigenes Instrumentarium – zusätzlich zum traditionellen Notensystem – entwickelt.

Was ist Bildung?

Mit "Bildung" im Vollsinn des Wortes haben "Bildungstests" wie Pisa jedenfalls nichts zu tun. Echte Bildung bedeutet mehr als nur eine Summe von Kompetenzen (unsere neue "kompetenzorientierte Matura" legt hier die Latte beklagenswert tief). In den Worten von Johann Beck von der Universität Bremen ist Bildung ein "… Prozess, in dem wir uns die Welt durch unsere Tätigkeit erschließen und uns so Wissen und Können aneignen".

Erreichen können wir das nicht, indem wir Schulentwicklung auf statistische Testungen reduzieren oder indem wir versuchen, aus dem veröffentlichten (und breit ausgeschlachteten) Zahlenmaterial der Pisa-Studie Rückschlüsse für systemische Maßnahmen zu ziehen.

Fragen zu Pisa

Trotzdem lassen sich auch aus den Daten von Pisa bei sachlicher Betrachtung Erkenntnisse extrahieren, die durchaus interessante Fragen aufwerfen können, wie zum Beispiel:

  • Wünschen wir uns die extremen "Nachhilfeorgien" und Schülerselbstmordraten von Pisa-Siegern wie Japan oder Schanghai, oder ist der Pisa-Sieg einen solchen Preis nicht wert?
  • Können wir realistischerweise darauf hoffen – und wäre es moralisch vertretbar –, nach dem Motto "das Boot ist voll" für unser Land einen Anteil der Bevölkerung mit einer anderen Erstsprache von nur vier Prozent anzustreben, wie er im ehemaligen europäischen Pisa-Wunderland Finnland anzutreffen ist?
  • Wollen (und können) wir uns eine Vervielfachung des pädagogischen Unterstützungspersonals leisten, welches die Arbeitsbelastung der Lehrer in Finnland auf ein Maß reduziert, das ihnen jene Betreuungsintensität ermöglicht, die den Lehrberuf in Finnland zum angesehensten aller Berufe macht.

Förderung von Menschen

Dringt man über die veröffentlichte Meinung hinaus auch nur einen Millimeter in die Tiefe und legt ideologische Scheuklappen ab, so gibt es auf die eingangs formulierten Fragen überraschend klare Antworten: Kinder werden durch Testungen nicht klüger. Bildungstests sind nur störende Ablenkungen von den eigentlichen Aufgaben der Schule und nützen nur Ideologen, die eine zumeist ahnungslose Öffentlichkeit damit leichter in die von ihnen gewünschte Richtung manipulieren können.

Im Endeffekt bewirkt Pisa Fehlorientierungen an herabgestuften Zielen, indem es den Blick auf jenes eigentliche Ziel verstellt, dem sich Schule vordergründig widmen sollte: die Förderung von Menschen. (Günter Schmid, 22.12.2016)