Ein gut 200 Kilometer langes Netz aus Loipen führt im Hochpustertal an eindrucksvollen Bergkulissen der Sextner Dolomiten vorbei.

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Auf den Höhenloipen stehen die Chancen für Schnee zudem gut.

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Leise flüstern die Ski. Die Loipe führt mitten durch einen verschneiten Märchenwald, bis sich auf einmal eine Bergkulisse wie aus einem Bildband von Reinhold Messner aus den Tannen schält. Felsriesen mit Gipfeln so spitz wie die Zähne eines Drachens ragen empor. Fasziniert von der Mächtigkeit der Berge übersieht man beinahe das Reh, das ein paar Meter vor einem über die Loipe springt und gleich wieder im Wald verschwindet. Idyllisch und zugleich aufregend ist die Landschaft in den Sextner Dolomiten im Südtiroler Hochpustertal.

Viele Gipfel heißen hier Kofel. Obwohl der Name wohl von "Kuppe" kommt, sind die meisten eher spitz. Sie kitzeln den Himmel 3.000 Meter über dem Meeresspiegel und tragen Namen wie Einser- und Zwölferkofel. Und sie gehören zu einem weltweit einzigartigen Naturschauspiel: der größten steinernen Sonnenuhr. Zur Wintersonnwende steht die Sonne um zwölf Uhr genau über dem Zwölferkofel, um ein Uhr über dem Einser. Die Römer rechneten anders. Sie begannen bei Sonnenaufgang zu zählen, also zeigte ihnen der Zwölferkofel die "Sexta Hora" an, die sechste Stunde. Vermutlich entstand so der Ortsname Sexten.

Tägliches Training

Ein paar Minuten hinter dem Ort ist Eugenio Rizzo mit seinen Gästen gestartet. Auf 1.500 Meter führt die Höhenloipe am Berghang entlang. Schon als Teenager war er ausdauernd und flitzte wie ein Profi auf Langlaufskiern durch Täler und über Berge. "Beim Militär dachten sie erst, ich hätte einen Herzfehler, weil mein Puls so niedrig war. Dabei kam das vom täglichen Langlauftraining", sagt der 56-jähige, der auch Biathlet war. Jahrelang hat er die "Tour de Ski" organisiert, die als härtestes Skirennen gilt und unter anderem in Oberstdorf, Toblach und Cortina ausgetragen wird. Die Südtiroler scheinen das Kräftemessen zu lieben. Jedes Winterwochenende findet irgendwo ein anderer Skimarathon statt. Doch Eugenios Langläufer legen erst einmal eine Pause bei Otti Innerkofler ein.

Der 45-jährige Hüttenwirt hat den Elan eines jungen Buben und kein Gramm zu viel auf den Rippen. "Beim Klettern kann schon ein Kilo zu viel entscheidend sein, ob man eine Route schafft oder nicht", erklärt er. Gemeinsam mit seiner Frau Klara betreibt er die Nemes-Hütte auf 1.877 Meter an der Loipe. Drinnen in der Stube hängen Skizzen von Kletterrouten und es duftet nach Apfelstrudel.

Mützen aus Schnee

Jeden morgen steht Otti um vier oder fünf Uhr auf, bäckt den Strudel, bringt die Kinder in die Schule im Tal, düst mit dem Motorschlitten zurück und bewirtet die Gäste. Zwischendurch trainiert er noch in der Kletterhalle und gibt Skikurse für Kinder. Wie er mit diesem durchgetakteten Leben zurechtkommt? "Bestens, ich heiße ja nicht umsonst Innerkofler", sagt er trocken. Sein Urgroßvater war die Kletterlegende Sepp Innerkofler, der den 2.744 Meter hohen Paternkofel und viele weitere Gipfel in den Dolomiten als erster erklommen hat. Als Tourismuspionier übernahm er Ende des 18. Jahrhunderts die Dreizinnenhütte und baute sie mit Lagerbetten aus.

Schon surren die Langlaufski wieder auf der abschüssigen Loipe bis zum Kreuzbergpass. Am Fuße der Rotwand liegt der Campingplatz Patzerfeld, auf dem die Wohnwagen jetzt Mützen aus Schnee tragen. "Man lernt viel beim Wintercamping", schwärmt ein mit diesen klimatischen Bedingungen wenig vertrauter Holländer vor seinem Wohnmobil: "Zum Beispiel darf man das Abwasser nicht einfach wegschütten – sonst gefriert es."

17 Tage in der Wand

Über solche Details machte sich Rainer Kauschke, bei dem Eugenio immer gerne auf ein Plauscherl vorbeischaut, im Jahr 1963 keine Gedanken. Damals bestieg der Kletterer gemeinsam mit drei Freunden als erster eine neue Nordroute in der Großen Zinne. Die Wände des Bergmassivs Drei Zinnen sind nicht höher als 550 Meter, stehen aber senkrecht wie Schneidezähne in der Landschaft. Damit ihnen niemand zuvor kam, planten sie die Tour im Winter. Am Ende haben sie 17 Tage bei minus 30 Grad in der Wand verbracht. "Als wir die Hände vom Fels nahmen, waren die Fingerspitzen weiß. Wir haben draufgebissen, um sie wiederzubeleben", erzählt der gebürtige Sachse, der im Hochpustertal seine zweite Heimat gefunden hat.

Eugenio will den Langläufern die Drei Zinnen noch selber zeigen. Doch an diesem Tag ist Frau Holle dabei, die Loipe und die Landschaft im Höhlensteintal zu renovieren. Schneeflocken setzen sich auf Nase und Schultern, von den Schneidezähnen keine Spur. Dann muss eben später der Blick in einen Bildband doch genügen. (Monika Hippe, 25.12.2016)