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In Frankreich, dem von islamistischem Terror am stärksten betroffene Land in Europa, gibt es schon so etwas wie einen Effekt der Gewöhnung an die terroristische Bedrohungslage. Sicherheitskräfte werden im öffentlichen Raum kaum mehr wahrgenommen.

Foto: AP / Jean-François Badias

Der Weihnachtsmarkt von Straßburg, mit zwei Millionen Besuchern einer der größten Europas, findet statt – jetzt erst recht. Wie schon beim mörderischen Lastwagen-Attentat in Nizza am 14. Juli dieses Jahres (86 Tote) reagieren die Franzosen trotzig auf den Anschlag von Berlin. Längst haben sie mit der Angst umzugehen gelernt. Alle wissen: Das Wahrzeichen des Straßburger Marktes, der 30 Meter hohe Tannenbaum, ist demontierbar, damit an seinem Platz ein Feldlazarett eingerichtet werden könnte.

Die "marchés de Noël" im ganzen Land werden heute vor Lasterattacken durch Betonpflöcke, Barrieren und Laufgräben geschützt. 10.000 Polizeikräfte sichern Frankreichs Weihnachten ab. Ihre Professionalität zeigt sich auch in ihrer Diskretion. Am Pariser Hauptmarkt entlang der Champs-Élysées patrouillierten diese Woche zwar wieder bewaffnete Soldaten in Tarnanzügen, doch die Besucher achten kaum mehr auf sie – auch eine Art von Gewöhnung.

Auffälliger ist die Berichterstattung der Pariser Medien – oder genauer der Unterschied zu den deutschen. Während man in Berlin nüchtern über die "Täterfahndung" informiert, sprechen Pariser Redaktionen von einer "Menschenjagd". Und während Angela Merkel an das "Miteinander" appelliert, erinnert man sich in Paris, dass François Hollande und sein Premier Manuel Valls nach den Anschlägen von Paris und Nizza eher mit "Krieg gegen die Terroristen" gedroht hatten.

"Willkommenskultur" versus Ausnahmezustand

Zum Teil spielen da auch kulturelle Unterschiede hinein: Während es Deutschland mit seinen historischen Hypotheken heute besonders gut machen will und die "Willkommenskultur" hochhält, hat Frankreich kein Problem mit Themen wie Militär oder Polizei – siehe den Ausnahmezustand, der seit einem Jahr fast ohne Widerspruch gilt.

Nach all den Attentaten, die seit 2015 über tausend Tote und Verletzte gefordert haben, wird der "Feind" in Frankreich beim Namen genannt: "Islamistischer Terror: Europa im Wirbel" titelte das Newsportal "Atlantico" am Mittwoch. Die Pariser Medien fallen dabei nicht ins andere Extrem wie die deutsche Boulevardpresse, die mit dem "Terror-Teufel" titelt. Sie halten es aber auch nicht für pietätlos, etwa die zerbeulte Lastwagenfront abzubilden.

In Frankreich nennt man auch ungeniert die Namen der Attentäter, auch wenn sie nicht verurteilt sind. Man bemüht sich zwar, ihnen keine unnötige Publizität zu verschaffen oder gar Nachahmer anzuziehen. Auf Porträts von ihnen zu verzichten würde aber als Verstoß gegen die Pressefreiheit empfunden – und darüber hinaus als nutzlos. Vor Jahren wurde in Paris einmal diskutiert, die Terroristen nur noch als "Barbar Nr. 1", "Barbar Nr. 2" zu bezeichnen. Dieser Vorschlag von Nicolas Sarkozy setzte sich aber nie auch nur im Ansatz durch.

Auch die in Deutschland hörbare Forderung, mit Rücksicht auf AfD-Hetzer weder Nationalität noch (Flüchtlings-)Status der Verdächtigen zu nennen, fände in Frankreich kein Echo: Eher heißt es, man müsse die Dinge beim Namen nennen, um sie nicht Rechtspopulisten wie Marine Le Pen zu überlassen. Schönreden bringe nichts: Diese Haltung prägt derzeit auch den französischen Präsidentschaftswahlkampf.

Auf der Strecke bleibt dafür in Frankreich – und das nicht zum ersten Mal – die Debatte über die Stigmatisierung der rund fünf Millionen Muslime im Land. Sie kommen in französischen Medien kaum zu Wort. (Stefan Brändle aus Paris, 21.12.2016)