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Am Donnerstag legten viele Berliner Kränze und Kerzen am Tatort nieder.

Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

Einen Fahndungserfolg konnte Innenminister Thomas de Maizière nicht vermelden, als er am Donnerstagnachmittag gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) das Bundeskriminalamt (BKA) besuchte, um sich über die Suche nach dem Tunesier Anis Amri zu informieren.

De Maizière erklärte aber, dass sich der Verdacht erhärtet habe, der Flüchtige sei tatsächlich auch jener Mann, der am Montag einen Lkw in einen Berliner Weihnachtsmarkt gesteuert hat: "Es sind im Cockpit, also in dem Fahrerhaus, Fingerabdrücke gefunden worden." Weil es sonst nichts Neues mitzuteilen gab, lobte Merkel noch den "großen Elan", der in den Behörden herrsche, und zeigte sich "sehr stolz, wie besonnen die Menschen reagiert haben". Am Abend dann teilte die Bundesanwaltschaft mit, gegen den Flüchtigen einen Haftbefehl erlassen zu haben.

Immerhin wurde das Bild des Gesuchten im Laufe des Tages immer klarer. Bevor Amri nach Deutschland kam, war er in Italien gewesen. Aus Unterlagen der sizilianischen Justizbehörden geht hervor, dass er 2011 einen Brand in einem Flüchtlingslager auf der Insel Lampedusa verursacht hat. In dem Lager waren 1300 tunesische Migranten untergebracht, 800 flohen wegen des Feuers.

Als "Gefährder" gelistet

Einige Tage später wurden elf Personen festgenommen, darunter auch Amri, der im Februar 2011 auf Lampedusa angekommen war und sein Alter mit 17 statt mit 19 Jahren angegeben hatte. Er wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, galt bei den Behörden als "problematisch". Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Nach Verbüßung seiner Haft wurde er des Landes verwiesen und setzte sich im Juli 2015 nach Deutschland ab.

Auch dort fiel er bald auf. Das Landeskriminalamt (LKA) in Nordrhein-Westfalen führte ihn auf der Liste der "Gefährder" – das sind Personen, denen man einen Anschlag zutraut. Er pendelte zwischen Nordrhein-Westfalen und Berlin, nutzte dafür unterschiedliche Identitäten. Außerdem hatte er Kontakt zum Hassprediger Boban S. in Dortmund.

Die Staatsanwaltschaft Berlin leitete ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein – auch weil er von einem verdeckten LKA-Ermittler eine Waffe kaufen wollte. Nach Informationen des Spiegel bot sich Amri bei Hasspredigern als Selbstmordattentäter an.

Überwachung ohne Ergebnisse

Allerdings seien die Äußerungen so verklausuliert gewesen, dass sie nicht für eine Festnahme gereicht hätten. Die "umfangreichen Überwachungsmaßnahmen" hätten keine Hinweise auf staatsschutzrelevante Tatpläne des 24-Jährigen erbracht, sagen die Berliner Strafverfolger. Man habe daher die Überwachung im September eingestellt. Zuvor, im Juli, war Amri auch in Deutschland in Haft gewesen. Er saß im baden-württembergischen Ravensburg in Abschiebehaft. Diese dient "zur Sicherung der Abschiebung" – etwa wenn der Verdacht vorliegt, dass sich jemand durch Flucht der bevorstehenden Abschiebung entziehen will, oder wenn bereits eine "Abschiebungsanordnung" ergangen ist, diese aber nicht sofort vollzogen werden kann.

Die für Amri zuständige Ausländerbehörde der Stadt Kleve (Nordrhein-Westfalen) sah aber keinen dieser Gründe und hob die Haft nach zwei Tagen wieder auf. Abgeschoben konnte Amri nicht werden, weil er keine Papiere hatte und diese erst organisiert werden mussten.

Papiere für Abschiebung

Diese Abschiebehaft kann bis zu sechs Monate lang dauern, danach um maximal zwölf Monate verlängert werden. Innenminister de Maizière wollte schon vor dem Anschlag in Berlin eine Verschärfung. Die CSU bringt erneut "Transitzentren" an den Grenzen ins Spiel, in denen Asylwerber so lange auf eine Einreise warten sollen, bis ihre Identität geklärt ist.

In ganz Berlin haben Sicherheitskräfte am Donnerstag bei einer Reihe von Einsätzen nach dem Terrorverdächtigen gesucht. Unter anderem stürmte ein Spezialeinsatzkommando nach dpa-Informationen auch einen Salafistentreffpunkt im Stadtteil Moabit, wo auch Amri verkehrt haben soll. (Birgit Baumann aus Berlin, 22.12.2016)