Gassenbauer wirft und wirft. Zum österreichischen Meistertitel hat es nie gereicht, aber zu 34 Wiener Meistertiteln binnen vierzig Jahren.

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Heuer in Perth holte Gassenbauer Silber im Hammer- und Bronze im Gewichtwerfen. Im März steigt in Daegu/Südkorea die nächste WM.

Der junge Gottfried war ein schönes ULC-Wildschek-Restl.

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Wien – Böschung hinauf, Böschung hinunter. Mit einem Golfwagerl fahren kann schon Spaß machen, es muss ja nicht auf einem Golfplatz sein. Gottfried Gassenbauer zeigt seine Anlage her. Der Wiener führt seit Anfang des Jahrtausends die Geschäfte im Sportcenter Donaucity, das bis Ende der Neunziger ganz anders geheißen hat, nämlich Club Österreichischer Eisenbahnersport. Nicht nur der Name hat sich geändert. Früher ist auf dem 13,5 Hektar großen Areal vieles brachgelegen, es hat sich auf wenigen Fußballplätzen und in der Tennisanlage meistens nicht besonders viel abgespielt.

Das änderte sich, als Gassenbauer übernahm. Er war zunächst Programmierer und ab 1994 im Eisenbahnersport tätig, mit der Anlage in unmittelbarer Nähe der Alten Donau also bestens vertraut. Die ÖBB, die sich im Jahr 2000 aus der Führung zurückzogen, hatten das Areal eher als Anhängsel betrachtet, sein Potenzial nicht erkannt.

Jetzt verweist Gassenbauer auf 18 Fußballplätze, teils Kunst-, teils Rasen, teils Groß-, teils Kleinfeld, auf 22 Tennisplätze, davon neun in der Halle, auf weitere Sportmöglichkeiten wie Beachvolleyball, Badminton, Tischtennis und Leichtathletik (Aschenbahn!), aber auch auf ein Gästehaus mit Seminarbetrieb und eine Eventhalle für 500 Menschen. Die 1700 Bäume, die es zu pflegen gilt, gibt es schon länger. Gassenbauer hat "einen Fuhrpark wie ein Großbauer" und ein Team von 25 Mitarbeitern, etliche haben "sportlichen Hintergrund".

So ging es los

Der junge Gottfried, der das Gymnasium in der Zirkusgasse besuchte, war eigentlich, weil eher stämmig, nicht unbedingt eine Sportskanone. Sportunterricht hatte (und hat) ja oft vor allem mit Laufen und Kicken zu tun. Dafür war der Zirkusgassen-Geschichtelehrer nicht irgendein Geschichtelehrer, sondern Gert Nöster, einer der besten Sprinter des Landes.

Nöster, der 1972 in München mit der Staffel – im Vorlauf – olympisch lief, gründete im gleichen Jahr beim ULC Wildschek eine Jugendgruppe, der sich viele aus Gassenbauers Klasse anschlossen. Beileibe nicht nur Sprinter. Gottfried hatte das Glück, dass er Walter Edletitsch in die Hände fiel, einem Trainingskollegen des legendären Hammerwerfers Heinrich Thun.

Er warf und warf und warf immer besser, stellte Jugend- und Juniorenrekorde auf, wurde 1976, mit 18, erstmals Wiener Meister im Hammerwerfen. Zur Teilnahme an großen Titelkämpfen oder zu österreichischen Meistertiteln hat es nicht gereicht. "Meistens hatte ich zwei Bessere vor mir.", Gassenbauer war zwar ein glänzender Techniker, aber vergleichsweise ein "Zniachterl". Ein Zniachterl allerdings mit einem langen Atem.

Titelsammler

Die anderen haben längst aufgehört. Gassenbauer hat weitergeworfen, er wirft immer noch. Dem ersten Wiener Meistertitel folgten 33 weitere, der jüngste datiert von heuer. 34 Titel binnen vier Jahrzehnten, das dürfte weltweit seinesgleichen suchen. Gut möglich, dass Gassenbauer damit ins Guinness-Buch der Rekorde kommt. Er selbst führt seit Jahren relativ penibel Buch, listet seine Leistungen, auch seine Erfolge auf. Als er vierzig war, begann er Masters-Wettkämpfe zu bestreiten – und zu gewinnen. Mittlerweile hält er in verschiedenen Gewichtsklassen, M40 bis M55, bei fünf WM- und sieben EM-Titeln.

Er sagt, er sei "natürlich mit Ehrgeiz bei der Sache", aber nicht mit Überehrgeiz. "Das Schöne an den Masters-Wettkämpfen sind die Verbindungen, die entstanden sind, die Freundschaften." Bei großen Events treffen sich zwei, drei Dutzend Hammerwerfer aus diversen Altersklassen und Nationen, einer respektiert den anderen, einer gratuliert dem anderen, nur selten ist dabei ein leises Zähneknirschen zu hören.

Sport und Urlaub

Schön ist auch das Reisen, die Gassenbauers sind herumgekommen in der Welt. Gottfried wird meistens von seiner Frau Silvia oder von seiner Tochter Iris (30) begleitet, manchmal auch von beiden. Nicht selten hängen sie nach dem Wettkampf einen Urlaub an. Bei WM-Destinationen wie zuletzt Perth in Australien oder zuvor Porto Alegre in Brasilien und Sacramento in Kalifornien drängt sich das auf. In Perth hat zuletzt eine WM-Silbermedaille für Gassenbauer herausgeschaut, der Brite Phillip Spivey war nicht zu biegen. Dafür ist Gassenbauer regierender Europameister.

Doch das Siegen ist sekundär. "Die Welt dreht sich auch dann weiter, wenn du Zweiter, Dritter oder Vierter wirst", sagt Gassenbauer. Der Österreicher freut sich, wenn er sein Wissen um die Technik weitergeben kann. Er berät etliche seiner Konkurrenten, sie schicken ihm Videos von Trainingswürfen, er schreibt zurück, wo vielleicht ein Hund begraben liegt oder welcher Hebel sich ansetzen lässt. Auch daheim ist Gassenbauer als Trainer tätig, er kümmert sich um Matthias Hayek, der heuer erstmals österreichischer Meister wurde, und um die talentierte Clara Baudis.

Der "zweite Geburtstag"

27. Mai 1999. "Der glücklichste Tag in meinem Leben", sagt Gottfried Gassenbauer, "mein zweiter Geburtstag." Es hätte sein letzter Tag sein können, Millimeter gaben den Ausschlag. Am Vormittag hatten die ÖBB-Personaldirektion und die Gewerkschaft entschieden, dass Gassenbauer die Eisenbahner-Sportanlage übernehmen durfte. Am Nachmittag trainierte er auf einem Praterstadion-Nebenplatz. Auch zwei Jedermann-Zehnkämpfer übten da, Speerwurf. Gassenbauer gab Tipps, warf zwischendurch seinen Hammer, ging den Hammer holen, redete wieder mit den beiden, hob den Hammer auf, drehte sich um, passte nicht auf – und ging in einen Speer hinein, der da schon lange im Boden steckte.

Der Speer, nicht nur vorn, sondern auch hinten sehr spitz, bohrte sich rechts in Gassenbauers Hals und trat im linken Ohr wieder aus. Gassenbauer war geschockt, zog das Wurfgerät flugs heraus. "Damit hätte ich eh nicht in den Rettungswagen gepasst", sagt er heute. Die Rettung brachte ihn ins Spital, erst dort wurde ihm richtig schummrig. Der Speer hatte die Halsschlagader wie die Halswirbelsäule denkbar knapp verfehlt. Nur ein Nerv war in Mitleidenschaft gezogen, eine halbseitige Gesichtslähmung die Folge. "Der Mundwinkel hing richtig weit herunter." Nach kurzem Spitalsaufenthalt wurde Gassenbauer mit Akupunktur behandelt, ein halbes Jahr später verspürte er "endlich ein richtiges Kribbeln. Da hatten sich die Nerven wieder gefunden".

So geht es weiter

Seit damals zeigen beide Mundwinkel meistens nach oben. Gassenbauer ist ein fröhlicher, überaus positiver Mensch, der "unbeschreibliches Glück gehabt hat". Er liebt sein Leben, seine Arbeit, den Sport. Er will "viele Leute, vor allem junge Menschen bewegen, ihnen auf diesem tollen Areal einen Kurzurlaub mitten in der Stadt ermöglichen". Er selbst trainiert sechsmal pro Woche eine gute Stunde lang, mit dem Hammer oder in der Kraftkammer, manchmal erst am späten Abend, stets mit Maß und Ziel.

Nebenbei checkt er seit 1992 den Garderobendienst beim Vienna City Marathon. Er organisiert 18 Lkw-Züge, die das Gewand der Läufer vom Start zum Ziel bringen. Nur einen Marathon hat Gottfried Gassenbauer verpasst. Jenen am 30. Mai 1999, drei Tage nach seinem zweiten Geburtstag. (Fritz Neumann, 25.12.2016)