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Ohne Hose, aber mit Buch: No Pants Subway Ride 2016 in der New Yorker U-Bahn ...

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... und in Wien.

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Die pants des Pantalone in der Commedia dell’arte.

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Im Theater, und vor allem in der Operette, hatten ab etwa 1800 Hosenrollen einen besonders erotischen Reiz, denn das meist hautenge Trikot lenkte das Augenmerk des Publikums auf wohlgeformte weibliche Waden, denen der Modegeschmack der Zeit abseits der Bühne ein Schattendasein unter langen Röcken diktierte. Ob die nackten Beine (beiderlei Geschlechts), die am zweiten Sonntag im Jänner in den U-Bahnen vieler Metropolen zu sehen sind, Voyeure anlocken, ist jedoch fraglich. Dennoch findet jedes Jahr dieses Spektakel statt, ein mehr oder weniger sinnloses "Theater", bei dem die Unterhose die Hauptrolle spielt. Jene U-Bahn-Fahrgäste, denen nicht das Herz in die Hose rutscht, entblößen nebst nackten Beinen auch ihr Höschen, their panties, sus bragas oder le loro brache. Wir bemühen unsere Fantasie und fahren ein paar Stationen mit und schauen uns die Wörter an!

Die im Mittelhochdeutschen übliche Bezeichnung für eine Art lose Unterhose (vor allem für Männer), die aus Naturmaterialien wie Leinen, Hanf oder Wolle gefertigt wurde, war bruoh. Sie bedeckte Hüfte und Oberschenkel und reichte bis zu den Knien. Die offensichtliche Verwandtschaft mit lateinisch brāca (Plural: brācae) "Hose(n)" macht uns neugierig.

Man nimmt an, dass die Römer die Bezeichnung zusammen mit der Art der Beinbekleidung von den Kelten übernommen haben. Demnach wäre also brāca ein keltisches Lehnwort. Gemeingermanisch wäre *brōk- anzusetzen. Entsprechende Etyma, die sich von *brōk- ableiten lassen, finden wir in allen germanischen Dialekten, nur im Gotischen ist das Wort nicht belegt.

Die Germanen, so wird angenommen, trugen eine Frühform der Hose, die etwa bis zu den Knien reichte. Die Römer selbst nahmen jedoch Anstoß an diesen barbarischen Beinkleidern, deshalb bedeutete brācātus kurioserweise neben "Hosen tragend" auch "barbarisch, ausländisch". Römische Bürger trugen nämlich eine Toga, die aus einem einzigen Stück Stoff bestand und kunstvoll über Schulter und Arm drapiert wurde. Eine weiße Toga (die sogenannte toga candida) zog man an, wenn man sich für ein Staatsamt bewarb, also kandidierte. Und es ist heute noch wünschenswert, als Kandidat unbescholten zu sein und, wenn nicht eine "weiße Toga", so doch eine "weiße Weste" zu haben.

Lateinisch brāca "Hose" hat Nachfahren in den modernen romanischen Sprachen, allerdings mit Bedeutungseinschränkung auf "Unterhose", zum Beispiel im heutigen Spanisch, wo wir las bragas als "Damenschlüpfer, Unterhöschen" wiederfinden, und es gibt Situationen, in denen die Italiener "die Hosen runterlassen" ("calare le brache").

Germanisch *brōk- überlebt, ist im Althochdeutschen als pruoch, bruoch belegt und wird zu mittelhochdeutsch bruoh. Im Grimm’schen Wörterbuch findet man noch den Eintrag "Bruch" (die). Das Wort ist jedoch seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr gebräuchlich, außer dialektal in der Schweiz.

Wohl aber begegnen wir in neuenglisch breeches "Knie- beziehungsweise Reithose" einem Nachfahren des alten Wortes. Breeches ist kurioserweise ein doppelt markierter Plural, denn altenglisch brēc ist bereits der Plural von brōc, denn in der Deklinationsklasse, der das Nomen angehört, unterschieden sich Singular und Plural durch einen i-Umlaut voneinander, der heute noch ablesbar ist in Substantiven, wie foot – feet "Fuß" (altenglisch fōt – fēt), goose – geese "Gans" (gōs – gēs) und tooth – teeth "Zahn" (tōÞ – tēÞ).

Die Bedeutung von brēc übertrug sich später auf den Körperteil, der von breeches bedeckt wurde, nämlich das Gesäß, und seit Ende des 17. Jahrhunderts wird die Steißlage eines Fötus im Englischen als breech birth bezeichnet.

Es gab aber schon sehr früh einen Wort-Konkurrenten zur mittelalterlichen bruoh, der ursprünglich nur den Fuß schützend umschloss und sich im Laufe der Jahrhunderte die Waden hocharbeitete, nämlich der lexikalische Vorfahre unserer Hose. Während die bruoh immer kürzer wurde, sich beinaufwärts bewegte und schließlich (in den romanischen Sprachen) zum Unterhöschen schrumpfte, umschlossen Hosen dem ursprünglichen Wortsinn nach röhrenförmig die Unterschenkel wie ein Schlauch1. Althochdeutsch hosa bedeutete "Beinkleid, Strumpf, Wadenbinde, weicher Schuh", mittelhochdeutsche hosen (nur im Plural) bezeichneten strumpfähnliche Beinlinge, die knieabwärts auch die Füße bedeckten.

Kurioserweise taucht das Wort Hose in zwei romanischen Sprachen als Lehnwort auf und konserviert dort die ursprüngliche Wortbedeutung. Italienisch uosa und französisch houseaux bedeuten "Gamaschen", und als solche bedecken sie Schuhe und eventuell auch Unterschenkel.

Im Mittelalter war also zweierlei Beinbekleidung üblich, einerseits eine bruoh, die Gesäß und Oberschenkel bedeckte, andererseits hosen, die das Bein knieabwärts wärmten. Dass strumpfähnliche Beinlinge an die bruoh angenestelt wurden, beweisen Wörter wie althochdeutsch hosa-nestila und mittelhochdeutsch hosen-nestel "Strumpfband, Hosenträger".

Später wurden die Hosen enger und ähnelten überhaupt eher den heutigen Leggings, und mit dem Aufkommen des Wortes "Mode" im 15. Jahrhundert gab es auch einen Umschwung, was die Kleidung betraf. Die Männer trugen eine Art Wams und knapp sitzende Hosen. Der Schritt wies einen Einsatz auf, der wie ein Latz auf- und zugeknöpft werden konnte, und aus diesem entwickelte sich später die sogenannte "Schamkapsel". Wir erinnern uns vielleicht an die Kostüme in Franco Zeffirellis Verfilmung von Shakespeares "Romeo und Julia" aus dem Jahr 1968.

Neuenglisch pants ist erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts belegt. Es ist die Kurzform von pantaloons, einer Bezeichnung, die sich im 17. Jahrhundert eingebürgert hat und die wir einer Figur der italienischen Commedia dell’arte des 16. Jahrhunderts verdanken, dem spitzbärtigen Geizhals Pantalone, einem reichen, stets auf seinen finanziellen Vorteil bedachten Kaufmann aus Venedig, der jungen Frauen nachstellt und mit dem Dottore im Dauerclinch liegt. In Darstellungen trägt er meist ein rotes Wams, farblich dazu passende Strümpfe, die den heutigen Leggings ähneln, und gelbe Schuhe.

So. Die Fantasiereise ist zu Ende. Es ertönt das bekannte Signal. Eine Stimme verkündet: Bitte seien Sie achtsam. Zwischen Bahnsteig und U-Bahn-Tür ist ein Spalt. Seien Sie am Sonntag, den 8. Jänner 2017 besonders achtsam! An diesem Tag werden diejenigen, denen es Spaß macht, die Hosen runterlassen. Da findet nämlich der No Pants Subway Ride statt, ein Event, das vor mehr als zehn Jahren in New York ins Leben gerufen wurde und über dessen Sinn man streiten kann. (Sonja Winkler, 2.1.2017)