Wenn Bundeskanzler Christian Kern Ende Jänner zu einem Kurzbesuch nach Israel reist, wird er vor dem Dilemma stehen, das sich seit geraumer Zeit jedem Freund Israels stellt: Wie hält man die Balance zwischen der Unterstützung des Lebensrechts Israels und der Tatsache, dass die gegenwärtige israelische Politik dieses Existenzrecht langfristig gefährdet?

Die UN-Resolution, in der der Sicherheitsrat (mit stiller Unterstützung der USA) erstmals die Siedlungspolitik Israels verurteilte und auf die die Regierung Netanjahu mit noch nie dagewesener Feindseligkeit und Uneinsichtigkeit reagierte, hat die lang andauernde Grundsituation erneut ins grelle Licht gerückt:

2017 ist es fünfzig Jahre her, dass Israel im sogenannten Sechstagekrieg mit einem Präventivschlag die Bedrohung durch drei arabische Armeen zerschmetterte und das Westjordanland, Gaza und den (jordanisch) besetzten Teil Jerusalems eroberte. Gaza ist inzwischen ein von der terroristischen Hamas beherrschtes Elendsgebiet. Dem Westjordanland geht es besser, aber es steht unter einem ziemlich harten Besatzungsregime. Die Palästinenser dort haben ein gewisses Maß an Autonomie erlangt, und die Weltgemeinschaft spricht seit langem von einem eigenen Palästinenserstaat.

Aber dessen Verwirklichung (und damit die Zweistaatenlösung aus Israel und Palästina) wird immer unwahrscheinlicher. Das hängt einerseits mit einer nicht unberechtigten Furcht der Israelis zusammen, dass dieser Staat zu einem Stützpunkt für eine massive terroristische Bewegung werden könnte. Andererseits aber bestehen ernstliche Zweifel daran, dass die derzeit dominierenden rechten politischen Kräfte in Israel überhaupt einen Palästinenserstaat zulassen wollen.

Die Realität ist, dass sich inzwischen gut 386.000 israelische Siedler im Westjordanland festgesetzt haben (ohne Ostjerusalem) und dass die großteils religiös-rechtsextremen Siedler schon eine zu starke Macht geworden sind. Faktum ist ferner, dass die religiöse Rechte die Palästinensergebiete als das eigentliche historische Israel betrachtet ("Judäa und Samaria") und Anspruch darauf erhebt. Premierminister (und Außenminister) Benjamin Netanjahu verbindet Friedensbeteuerungen mit einer Politik, die auf eine Bewahrung des Status quo hinausläuft. Die Radikalen in seiner Regierung fordern jedoch längst, und jetzt auch wieder, eine Annexion eines Großteils des Westjordanlandes.

Tatsächlich ist schwer vorstellbar, wie eine Zweistaatenlösung noch verwirklicht werden sollte. Aber schon die Fortdauer des Status quo untergräbt Israels Natur als demokratischer Staat. Ein unbegrenztes Besatzungsregime über zwei Millionen Palästinenser ist damit nicht vereinbar. In Gefahr ist auch Israels Selbstverständnis als jüdischer Staat, überhaupt dann, wenn die besetzten Gebiete annektiert werden. Die linksliberale Zeitung Haaretz sagt, die UN-Resolution sei der Beginn einer Bewegung, um "Israel vor sich selbst zu retten". Auch der österreichische Kanzler wird wohl zu einer Stellungnahme gezwungen sein. (Hans Rauscher, 27.12.2016)