Tunesien hat sich geziert, seinen Staatsbürger Anis Amri, dem in Deutschland das Asyl verweigert worden war, zurückzunehmen: Angesichts des weiteren Verlaufs der Geschichte, die mit zwölf Terrortoten in Berlin endete, ist man schnell mit der Forderung bei der Hand, Länder wie Tunesien notfalls mit punitiven Maßnahmen dazu zu zwingen, sich selbst um ihr "überschüssiges Menschenmaterial" – diese zynische Sprache ist den Realitäten angepasst – zu kümmern. Als ob dann alles gut wäre.
Tunesien ist das Arabische-Frühling-Land, dem am meisten Zukunftschancen eingeräumt werden: Alles war – und ist – schwierig, aber letztlich hat sich eine breite politische Mitte auf Ausgleich verständigt. Ebenso gibt es jedoch in Tunesien, genauso wie im stets relativ stabil gebliebenen Marokko, das Phänomen des besonders großen islamistischen Untergrunds. Saudi-Arabien etwa, das als mutmaßlicher Terrorexporteur in aller Munde ist, hat bei einer Bevölkerung, die dreimal so groß ist wie die tunesische, weniger als halb so viele Jihadisten auf den diversen Kriegsschauplätzen. Einer davon liegt gleich nebenan, in Libyen, aber auch aus Syrien und dem Irak kehren momentan verstärkt Kämpfer des "Islamischen Staats" nach Tunesien zurück. Die Ablehnung der Bevölkerung, die "Ansteckung" fürchtet, führt bereits zu Protesten.
Die tunesische Regierung ringt um eine Linie zwischen Bestrafung und Reintegration, aber was sie wirklich mit diesen Menschen machen soll, weiß sie nicht. Es ist zu befürchten, dass die Rückkehrer zu neuen Anlaufstellen für die wachsende Zahl von Hoffnungslosen werden könnten, die weder Chancen auf Migration noch Perspektiven im Land haben. Dass es diese Perspektiven nicht gibt, liegt jedoch auch daran, dass Reformen ausbleiben und die Korruption wächst: Das wäre ein Punkt, wo die internationale Gemeinschaft Tunesien gegenüber viel fordernder auftreten sollte. (Gudrun Harrer, 27.12.2016)