Oberstdorf – Alkohol, in Maßen genossen, schadet auch in großen Mengen nicht. Anderl Heckmair sagte das, einer der vier Erstbesteiger der Eigernordwand, der bis zu seinem Tod 2005 gut 65 Jahre lang in Oberstdorf lebte. Das Bonmot des Gipfelstürmers lässt sich, ersetzt man Alkohol durch Erfolg, ganz gut auf die Himmelsstürmer des slowenischen Skisprungs umlegen, die sich anschicken, auch die eben erst angebrochene Saison 2016/17 zu dominieren.
Deren erster Höhepunkt wird am Freitag (ab 16.45 Uhr) mit dem Eröffnungsspringen der 65. Vierschanzentournee eben in Oberstdorf gegeben – dem nebenbei völlig schneelosen Oberstdorf, das also dieser Tage touristisch am Tropf des Spitzensports hängt. Die Sause in der Erdinger-Arena, vormals Skisprungstadion am Schattenberg, ist ausverkauft, mit ihr der Ort, zumindest bis Silvester, wenn die Karawane nach Garmisch-Partenkirchen weitergezogen sein wird.
Die deutschen und in Maßen auch die österreichischen Skispringer verkaufen zwar die 30.000 Karten, die Attraktion der Veranstaltung werden nach dem Dafürhalten der meisten Experten aber die Slowenen sein, genauer die Brüder Peter (24) und Domen Prevc (17), Titelverteidiger der eine, die Zukunft des Sports der andere. Nicht nur Anton Innauer, Experte des ZDF, hält Domen Prevc für einen Revolutionär des Sprunglaufs. Der Sportgymnasiast habe eine neue physikalische Lösung für das Fliegen gefunden. Zudem sei er punkto Technik und Gesamtverhalten nicht anfällig für schlechte Sprünge.
Vom Bruder vorgehüpft
Der bisherige Saisonverlauf bestätigt das eindrucksvoll. Inklusive seiner Siegpremiere in Kuusamo hat Domen Prevc vier der ersten sieben Einzelweltcupspringen gewonnen und stand dazu noch einmal auf dem Podest. Während Bruder Peter etwas an einem Sturz zum Auftakt in Finnland kiefelt, birst der jüngste der drei Prevc-Brüder – der mittlere Cene (20) holte zuletzt in Engelberg erste Weltcuppunkte und zählt auch zum slowenischen Tourneeaufgebot – vor Selbstvertrauen. So sei eine Siegesserie schon deshalb für ihn keine Belastung, weil er ja bei Bruder Peter hautnah miterlebt habe, wie sich das anfühle. "Das ist für mich also nichts Neues."
Im Gegensatz zu Skiflugweltmeister und Weltcupgesamtsieger Peter ist Domen Prevc ein rechtes Plaudertascherl – wenn man ihn lässt. Die slowenische Teamführung beschloss nach Rücksprache mit dem Internationalen Skiverband (Fis) den jungen Mann durch ein Interviewverbot vor medialen Begehrlichkeiten zu schützen. Lediglich bei offiziellen Terminen während der Tournee hat er zur Verfügung zu stehen. Nach Lage der Dinge kommen da einige Auftritte auf ihn zu.
Nicht verheizen
Die Slowenen sind darum bemüht, ihr Sprungjuwel vor einem Schicksal zu bewahren, wie es Toni Nieminen ereilte, den bisher jüngsten Tourneesieger, der bei seinem Coup 1992 keine 17 Jahre alt war. Domen Prevc ist am Dreikönigstag 2017, beim Springen in Bischofshofen, genau ein Jahr älter als der Finne, der nach nur einer Traumsaison sportlich verglühte. Primoz Peterka, der erste Slowene, der die Tournee gewann, war beim Triumph 1997 ein Jahr älter, als es der jüngste Prevc am 6. Jänner als Gesamtsieger wäre. Auch Peterka bezahlte als Sportler und Mensch für seine hohe Popularität in jungen Jahren.
Dem will Cheftrainer Goran Janus (46) im Fall Domen Prevc zuvorkommen. Janus ist 2011 Matjaz Zupan ins Amt gefolgt, der seinerseits einst Assistent des österreichischen Cheftrainers Heinz Koch gewesen war. Damit endet allerdings der österreichische Einfluss auf den slowenischen Sprunglauf. Der ist seit Jahren ganz ohne österreichisches Know-how erfolgreich, das bei fast allen anderen Spitzenmannschaften höchst gefragt ist. "Die Slowenen haben das Selbstvertrauen gehabt, ihre eigene Tradition zu entwickeln", sagt Experte Innauer. Mit den Prevc-Brüdern erweist sich, dass der lange nur in Maßen genossene Erfolg auch in großen Mengen nicht schadet. (Sigi Lützow aus Oberstdorf, 29.12.2016)