Die Debatte um den Sonntagseinkauf in Wien flammt in immer kürzeren Abständen auf. Befürworter sehen Chancen für mehr Umsatz und Jobs. Gegner sehen kleine Betriebe und Mitarbeiter als Verlierer.

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Wien – Gernot Blümel kann nicht fassen, was sich in Wien rund um Weihnachten abspielt. "Da schieben sich sonntags tausende Touristen durch die Stadt und wollen ihr Geld ausgeben. Aber Wien hat wegen Reichtums geschlossen."

Der Wiener ÖVP-Chef ist vehementer Verfechter der Sonntagsöffnung. Das ließ er schon wiederholt durchklingen. Nun aber sieht er die Zeit reif für einen Vorstoß, der weiter reicht als der bisherige Ruf nach mehr Liberalisierung.

Blümel fordert die völlige Freigabe der Öffnungszeiten. Wiener Händler sollen Geschäfte rund um die Uhr an sieben Tage die Woche aufsperren dürfen: nach eigenem Gutdünken auf freiwilliger Basis. Die Einrichtung abgegrenzter Tourismuszonen, wie sie in allen anderen Bundesländern mehr als 850-mal praktiziert wird, geht für ihn nicht weit genug. "Warum stehenbleiben? Warum nicht größere Schritte setzen?" Österreich sei ja bei der Ladenöffnung im EU-Vergleich ohnehin kein Vorreiter. Derzeit sei Wien "wie ein Freibad, das bei 35 Grad geschlossen bleibt. Das ist der blanke Wahnsinn."

Blümel ist überzeugt, dass er für seine Pläne viele Anhänger findet, auch wenn die Euphorie des Handels für eine generelle Siebentagewoche bisher selbst unter großen Ketten wie Rewe, Spar und Lutz mehr als überschaubar blieb. Er sieht den Schlüssel, mit dem sich erweiterte Öffnungszeiten finanziell rentieren, in steuerlicher Entlastung von Überstunden und Feiertagszuschlägen. "Durch eine Abschaffung dieser Abgaben hätten alle in der Sekunde mehr."

Warum nach so vielen vergeblichen Anläufen, die an den Mauern der Sozialpartner abprallten, die Liberalisierung nun doch gelingen soll? Blümel verweist auf die prekäre Lage, in der sich viele Betriebe angesichts des wachsenden Onlinehandels befinden. Die aktuell eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten nennt er eine versteckte Förderung des Internetriesen Amazon, der freilich keinen einzigen Job in Österreich schaffe.

Sorgen der 550.000 Mitarbeiter des Handels, vor allem von Frauen, die ihr Familienleben auf dem Spiel stehen sehen, verstehe Blümel, betont er. Es gebe aber eine halbe Million Österreicher, die in anderen Branchen sonntags arbeiteten. "Jede Veränderung macht Angst. Aber nur so können wir Sozialsystem und Wohlstand halten."

Harsche Abfuhr

Die Abfuhr der Gewerkschaft für Blümels Vorstoß ist harsch wie eh und je. Wiens ÖVP-Chef erinnere sie an einen Blinden, der von Farben spricht, sagt Barbara Teiber, GPA-djp-Regionalgeschäftsführerin. "Er hat keine Ahnung von der Arbeitswelt und der Verdienstsituation." Niemand gebe im Übrigen wegen längerer Öffnungszeiten mehr Geld aus. Blümel wäre gut beraten, dieses Thema jenen zu überlassen, die sich damit auskennen – den Sozialpartnern.

Diesen überließ es auch Wiens Bürgermeister Michael Häupl bisher stets, sich zu einigen, was jedoch nicht passierte. Annäherungen blieben im Versuch stecken.

"Wir wären schon froh über eine Tourismuszone", meint Klaus Puza, Geschäftsführer der Sparte Handel in der Wiener Wirtschaftskammer. Diese könnte 140 Millionen Euro zusätzlichen Umsatzes und 800 Jobs bringen. Für eine generelle Liberalisierung ist es aus seiner Sicht aber zu früh. Diese lehnt auch Hans Arsenovic, Landessprecher der Grünen Wiener Wirtschaft, entschieden ab, wobei er sich wie Puza für eine Tourismuszone erwärmen kann, vor allem, wenn darin kleine Unternehmen positiv diskriminiert würden – über größeren zeitlichen Spielraum und geringere Nebenkosten.

SP-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter vergleicht die völlige Liberalisierung der Ladenöffnung wie Blümel mit einem Freibad, aber mit einem, "das im Winter offen hält, mit dem Bademeister als einzigem Beschäftigten".

Matznetter sieht Wiener Familienbetriebe draufzahlen und hält die steuerliche Entlastung von Überstunden für einen Brandbeschleuniger: Die Österreicher leisteten jährlich ohnehin schon 300 Millionen davon. Blümels Vorhaben würde sie weiter fördern, statt neue Stellen im Handel zu schaffen.

Teure Zuschläge

Befürworter des Einkaufens an Sonntagen ist der österreichische Handelsverband. Unter den jetzigen Spielregeln sei dies für Händler aber nicht leistbar, gibt Rainer Will, Chef desselben, zu bedenken. Nur Lohnnebenkosten niedriger zu besteuern sei zu wenig.

Ein erster Schritt müsse es sein, die hohen Zuschläge unter der Woche ab 18.30 und samstags nach 13 Uhr zu senken und nach hinten zu verschieben, sagt er. "Zuschläge vor 20 Uhr sind nicht zeitgemäß." Solange sich hier nichts tue, werde Blümel nicht vorankommen.

Entscheidend sei die Frage der Finanzierbarkeit, sagt Roman Seeliger, Vizechef der Sparte Handel der Wirtschaftskammer. Dass der Sonntag österreichweit, von Ausnahmen abgesehen, ein arbeitsfreier Tag bleiben soll, daran werde die Kammer festhalten. Präsident Christoph Leitl trete sehr wohl für Entschleunigung ein. (Verena Kainrath, 30.12.2016)