Wien – "Die Qualität einer Innovation ist nicht sofort erkennbar. Zunächst ist etwas möglicherweise gar nicht allzu aufregend, hat aber radikale Auswirkungen", beschreibt Ulrike Felt, Professorin am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien, die Besonderheit radikaler Innovationen. Solche sind zweifellos erwünscht, aber wie können sie gefördert werden? Und können sie überhaupt gefördert werden, oder spielen Faktoren eine Rolle, die wenig beeinflusst werden können? Diese Fragen werden immer wieder diskutiert, wenn es um die Rolle des Forschungsstandortes Österreich geht.

Ein Beispiel für eine solche radikale Innovation ist der Siegeszug der Smartphones, der internetfähigen Mobiltelefone. Was das in der Praxis bedeuten kann, sehen wir nicht nur im täglichen Leben, sondern auch an den Änderungen in vielen unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen, die davon angestoßen wurden. Wer hätte vor wenigen Jahren gedacht, dass Banken gezwungen sein werden, den Zugang zu ihren Angeboten auf tragbaren Geräten zu ermöglichen? "Solche Innovationen initiieren grundlegende Veränderungen, wodurch wiederum andere ausgelöst werden", sagt Katharina Warta von der Forschungs- und Beratungsgesellschaft Technopolis. Ein weiteres Spezifikum von radikalen Innovationen: Sie sind nur schwer planbar – allein schon deshalb, weil nicht ein bekanntes Problem oder ein spezifischer Markt adressiert wird, sondern weil es "den Markt oftmals noch gar nicht gibt", wie Ulrike Felt sagt. Und sie führen zu neuen Formen des gesellschaftlichen Umgangs, haben also Auswirkungen weit über Gewinn- und Verlustrechnungen hinaus.

Wie ist es aber um die Rahmenbedingungen in Österreich für solche Radikalität bestellt?

Das große Ziel "Innovation Leader"

In der Beschreibung der Forschungsstrategie "Der Weg zum Innovation-Leader", die von der österreichischen Regierung 2011 gestartet wurde und mit deren Hilfe das Land vom "Innovation-Follower" zum "Leader" werden soll, heißt es vollmundig: "Exzellente Forschung und radikale Innovationen sind in Österreich (...) selbstverständlich."

Wichtigste Grundlage für den Aufstieg unter die "Leader" ist ja die Erhöhung der Forschungsquote bis 2020 auf 3,76 Prozent des BIPs. Dazu fehlten aber jahrelang die Mittel, vor allem für die Universitäten und den Wissenschaftsfonds FWF. Ab 2018 sollen nun 400 Millionen Euro zusätzlich zum derzeitigen Budget der Grundlagenforschung fließen. Der Forschungsrat hat, wie berichtet, freilich kritisiert, dass ein Jahr verlorengehe. 2017 würde noch eine große Lücke klaffen.

Ausreichende Finanzierung ist die eine Sache, aber sie ist nicht allein entscheidend. "Es muss der passende Raum für Innovationen geschaffen werden", sagt Felt. Bedingungen, wie sie FWF-Präsident Klement Tockner beschreibt: "Radikale Innovationen können weder geplant noch angeordnet werden. Sie erfordern eine vielfältige und experimentierfreudige Forschungskultur, denn wissenschaftliche Durchbrüche entstehen oft dann, wenn disziplinäre, institutionelle und geografische Barrieren überwunden werden."

Es braucht also die Bedingungen, unter denen Risiko nicht nur geduldet, sondern explizit erwünscht ist. Die Einstellung gegenüber dem Scheitern an sich – wirtschaftlich oder in der Forschung – steht dem aber noch entgegen: Wer einmal versagt, dem glaubt man nicht mehr.

Dabei kann radikale Innovation nur dort gedeihen, wo das Scheitern kein Tabu ist. "Das Potenzial in Österreich ist da, aber die größte Gefahr ist der Konformismus", glaubt Warta.

Zentrale Bedeutung bei Innovation spielt das Fördersystem: So zeigte sich bei einem Vergleich unterschiedlicher Förderstrategien, dass die Chance auf wirklich neue Erkenntnisse steigt, wenn beim Auswahlverfahren zunächst Attraktivität und Neuigkeitswert bewertet werden und dann erst die Qualität. Gerade die Vielzahl der Anträge auf Förderungen macht es ja auch in Österreich zunehmend schwierig, an Finanzierungen zu kommen.

Experimentierräume

Warta hat in einer aktuellen Technopolis-Studie im Auftrag des Forschungsrats und des Wissenschafts- bzw. Wirtschaftsministeriums Ansatzpunkte für Experimentierräume aufgezeigt, zum Beispiel mehrtägige Idea-Labs. Tockner selbst lanciert ein 1000-Ideas-Programm, um ähnliche Räume für radikale Innovationen zu schaffen.

Christopher Lindinger, Forschungsdirektor des Ars Electronica Futurelabs, wünscht sich die Schaffung "dynamischer, interdisziplinärer Keimzellen" als Grundlage für eine Innovationskultur. Ein Vorschlag, der Schule machen könnte: Bereichsübergreifendes Denken, Zusammenarbeit, die Auflösung starrer Förderstrukturen – wer radikale Innovationen will, muss zunächst mal selbst radikal denken. (rp, pi, 2.1.2017)