Legt mit "Schattenkiller" ein vielschichtiges Krimidebüt vor: der römische Autor Mirko Zilahy.

Foto: Ingeborg Sperl

Ein Serienmörder treibt sich in Roms alten Industrievierteln herum. Seine Vorgangsweise variiert. Dennoch ist sich Commissario und Profiler Mancini sicher, dass es sich um ein und denselben Killer handelt, auch wenn zunächst keinerlei Verbindung zwischen den Opfern feststellbar ist. So weit ist der Plot nicht überraschend originell.

Das Debüt des römischen Autors Mirko Zilahy kann man aber auf mehreren Ebenen lesen. Erst einmal als reine Unterhaltung. Wogegen Zilahy, der nicht zwischen hoher Literatur und niederer Unterhaltung unterscheiden will, grundsätzlich nichts hat. Eine zweite Ebene ist die psychologische. Wie sich im Laufe des Textes herausstellt, gibt es gewisse Parallelen zwischen dem Schicksal Mancinis und dem des Mörders.

Schwarzes Herz der Literatur

"Alle große Literatur thematisiert den Tod – Poe, Dickens, Wilde. Der Tod ist das schwarze Herz der Literatur", sagt Zilahy. In seinem Thriller verarbeitet der Autor zudem eine eigene traumatische Erfahrung. Seine Mutter ist wie die Figuren im Roman an Krebs gestorben, und Zilahy, den seither die Unmenschlichkeit im Umgang mit Todkranken umtreibt, übt eine sublimierte Rache, indem er seinen Killer stellvertretend agieren lässt. "Ich wollte Wut und Schmerz bearbeiten und durch das Schreiben Distanz schaffen." Fachkenntnisse bezieht er unter anderem aus dem klassischen Werk Gray's Anatomy und von seinem Vater, einem pensionierten Arzt.

Die dritte Ebene wirft ein Schlaglicht auf die faszinierende Geschichte von Roms Industriebauten, die jetzt teilweise unter Denkmalsschutz stehen. Beim Lokalaugenschein in Ostiense und Testaccio, weit abseits der Touristenströme, geht Zilahy auf die Verschränkungen mit seinem Roman ein. Es sind auch in der Realität alle "Orte des Todes".

Da ist zum Beispiel der Gasometer am anderen Ufer des Tiber. Ein Stahlskelett erinnert an die Zeiten, als Kohle auf dem Fluss herbeigeschafft wurde, um im Gasometer verarbeitet zu werden. Dabei gab es so viele tödliche Unfälle unter den Arbeitern, dass Mussolini verfügte, hier zu lebenslanger Haft verurteilte Sträflinge arbeiten zu lassen.

Touristen ist man nicht gewohnt

Ein paar Schritte entfernt stehen die Ruinen einer Seifenfabrik. Unterschlupf für obdachlose Roma. Im Roman beobachtet hier ein Junge etwas, das er nicht hätte sehen sollen. Man wird misstrauisch beäugt, wenn man die Ruinen fotografiert. Touristen ist man hier nicht gewohnt. Die machen eher lustige Selfies vor dem Kolosseum – wohl ohne sich bewusst zu sein, dass es sich auch hier um einen grimmigen "Ort des Todes" handelt.

Weiter in das alte Arbeiterviertel Testaccio: Hier war bis in die 1970er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts der riesige Schlachthof von Rom in Betrieb. Die Schreie der Tiere hörte man Tag und Nacht in den angrenzenden Vierteln. Blut und Schlachtabfälle wurden über unterirdische Kanäle direkt in den Tiber geleitet. Rampen, Haken, Schlachtbänke und Blutwannen stehen noch da.

Die Gebäude sind schön proportioniert, in einigen Teilen hat man Kultureinrichtungen untergebracht. Man folgte hier demselben Prinzip wie eine Autofabrik. In Letzterer werden Teile mechanisch zusammengefügt; im Schlachthof wurden am Fließband lebende Körper mechanisch zerteilt, sagt Zilahy, und man begreift, warum er hier einen besonders sadistischen Mord mit Symbolkraft geschehen lässt.

Auf mehreren Ebenen lesbar

Die vierte Ebene ist schwerer zu entdecken. Zilahy, der in Dublin italienische Literatur unterrichtet hat und auch als Übersetzer arbeitet, versteckt in der Thrillerhandlung Anklänge an James Joyce. Er liebt E. A. Poe – auch den kann man "auf mehreren Ebenen lesen" – und viktorianische Klassiker wie Dickens oder Wilde.

Zilahy weist auch noch auf die "den Italienern in die DNA eingeschriebene Musikalität und das Gefühl für Rhythmus" hin, wie es sich etwa schon in Dantes Versmaßen manifestiert. "Das Hören ist genauso wichtig wie die Bilder, die beim Lesen erzeugt werden." Schattenkiller, der aus einer mehrstimmigen Perspektive geschrieben ist, wurde als erster Band einer Trilogie konzipiert. Der depressive, alkoholkranke Commissario Mancini ist gewiss kein Protagonist fürs Dolce Vita, aber vielleicht wird ja Zilahy seinem schattenhaften Alter Ego ein wenig Heilung vergönnen. (Ingeborg Sperl, 30.12.2016)