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Stark in Umfragen: Italiens antieuropäische Protestbewegung "Fünf Sterne" des Starkomikers Beppe Grillo.

Foto: REUTERS/Remo Casilli

Das Jahr 2017 wird ein Schlüsseljahr für die Zukunft Europas sein: In Frankreich, der zweitgrößten Eurozonen-Volkswirtschaft hinter Deutschland, stehen Präsidentschaftswahlen an. Marine Le Pen, Parteichefin des rechtsextremen Front National, hat reelle Chancen, ins höchste französische Staatsamt gewählt zu werden. Nach dem verlorenen Verfassungsreferendum der Regierung von Matteo Renzi Anfang Dezember 2016 stehen in Italien möglicherweise vorgezogene Parlamentsneuwahlen an. Sollte Beppe Grillos europakritische Fünf-Sterne-Bewegung ihre aktuell starken Umfrageergebnisse bestätigen, ist mit einer "Italexit"-Kampagne zu rechnen.

Sparpolitik verursachte Wirtschaftsabschwung

Über die Gefahren des Aufstiegs von Rechtsparteien sind sich zwar auch führende EU-Politiker wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel weitgehend einig. Die zentrale Erkenntnis bleibt jedoch weiterhin aus: dass nämlich die aktuellen Desintegrationsgefahren in engem Zusammenhang mit der seit Jahren andauernden Wirtschaftskrise – vor allem in der Eurozone – stehen, deren Beständigkeit und Tiefe wiederum die einseitige Sparpolitik seit 2010 verursacht hat.

Als Folge der durch die exzessiven Sparmaßnahmen verursachten Einkommensrückgänge lag die Arbeitslosenquote in der Eurozone zuletzt weiterhin bei rund zehn Prozent und damit weit über dem Niveau von der Zeit vor der Finanzkrise. In Griechenland liegt die Arbeitslosenquote bei 23,4 Prozent; in Spanien bei 19,4 Prozent; und in Frankreich und Italien, die beide besonderes wirtschaftliches und politisches Gewicht in der EU haben, bei 10,2 Prozent beziehungsweise 11,7 Prozent.

Nährboden für rechte Parteien

Die weiterhin schwelende wirtschaftliche Krise in der Eurozone begünstigt den Aufstieg rechtspopulistischer beziehungsweise rechtsextremer Parteien. Forschungsarbeiten von Wirtschaftshistorikern zeigen, dass eine wesentliche Lehre aus den Erfahrungen der 1930er-Jahre darin besteht, dass die Langwierigkeit und Zähigkeit wirtschaftlicher Krisen entscheidend für die Erklärung des Aufstiegs rechter Parteien ist: Ein Jahr eines tiefen wirtschaftlichen Einbruchs macht noch keinen rechtsextremen Wahlsieg; aber wenn es die politischen Entscheidungsträger durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik zulassen, dass eine über viele Jahre andauernde Depression mit anhaltend hoher Arbeitslosigkeit entsteht, dann gießen sie Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten – egal, ob sie Le Pen, Grillo, Wilders oder Hofer heißen.

Das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in den vergangenen Jahren betrifft natürlich nicht nur die Eurozone, sondern ist innerhalb der EU ein weitverbreitetes Phänomen, das in Ländern wie Polen und Ungarn besonders augenscheinlich ist. Wer den weiteren Aufstieg des Rechtspopulismus verhindern will, muss jedenfalls kurz- und mittelfristig alles daran setzen, die wirtschaftliche Situation zu verbessern. Mit dem bevorzugten Rezept der vergangenen Jahre, das heißt, mit angebotsseitigen "Strukturreformen" – sprich weiterer Arbeitsmarktflexibilisierung und Kürzung von Sozialausgaben –, wird es nicht gelingen, das auf Investitionen angewiesene Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Mehr öffentliche Investitionen

Einen positiven wirtschaftlichen Schub, der dem Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa Einhalt gebietet, kann es nur mit koordinierten Ausweitungen öffentlicher Investitionen geben – etwa betreffend den Ausbau von Schulen, Krankenhäusern, Kindergärten und anderen Betreuungseinrichtungen sowie die Erlangung einer höheren Energieeffizienz. Bisherige Anstrengungen wie beispielsweise im Rahmen des Juncker-Plans, der private Investitionen anzuregen sucht, haben sich als nicht besonders effektiv und unzureichend erwiesen.

Mehr direkte, arbeitsintensive, öffentliche Investitionen würden kurzfristig Wirtschaftswachstum und Beschäftigung ankurbeln. Investitionen in die Infrastruktur und insbesondere in die Bildung würden aber auch das langfristige Wachstumspotenzial verbessern, weil auch nachkommende Generationen von diesen Investitionen profitieren. Dadurch entstünden wiederum höhere zukünftige Steuereinnahmen, die den Abbau der Staatsschulden langfristig erleichtern würden.

Investitionen in Bildung bringen vielfachen Mehrwert

Gerade mit Investitionen in die Bildung könnten mehrere wichtige Ziele auch abseits des kurzfristigen Abbaus der Arbeitslosigkeit erreicht werden. So lassen beispielsweise die alljährlich problematisch ausfallenden Pisa-Studienergebnisse österreichischer Schüler zu Recht die Alarmglocken läuten. Breitangelegte staatliche Investitionsoffensiven in den EU-Ländern und strukturelle Verbesserungen im Bildungsbereich hätten zum einen das Potenzial, den Globalisierungsverlierern der vergangenen Jahrzehnte die Hoffnung zu verschaffen, dass ihren Kindern eine bessere Zukunft offensteht; zum anderen könnte damit die Integration von jungen Migranten und Flüchtlingen sowie Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten in die Gesellschaft gefördert werden. Eine solche Offensive müsste vor allem im vorschulischen und Volksschulbereich ansetzen, um die Chancen von sozial benachteiligten Kindern zu verbessern; aber auch zukunftsträchtige Investitionen in Schulen und Universitäten wären sinnvoll.

Wenn eine koordinierte Ausweitung öffentlicher Investitionen, die insbesondere in den von Zukunfts- und Abstiegsängsten geplagten sozialen Gruppen die Erwartung eines Aufschwungs aufkeimen ließe, in Europa im Jahr 2017 ausbleiben sollte, dann ist zu erwarten, dass der eingeschlagene Weg immer mehr in Richtung europäische Desintegration und Nationalismus führen wird. Und auch in Österreich müsste man sich dann doch voraussichtlich noch "wundern, was alles möglich ist". (Philipp Heimberger, 3.1.2017)