Das Staatliche Zentrum für zeitgenössische Kunst in Moskau (die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2012) wird sein 25-Jahr-Jubiläum, das 2017 anstünde, nicht mehr feiern können.

Foto: Herwig G. Höller

Das Staatliche Zentrum für zeitgenössische Kunst (GZSI) in Moskau, so hatten es seine Gründer 1992 beabsichtigt, hätte eigentlich Russlands Centre Pompidou werden sollen. Zwar stellte sich bald heraus, dass dieser Plan unter russischen Bedingungen nur schwer zu realisieren sein würde. Aus dem Geist von Perestroika und spätsowjetischem Underground entstand nichtsdestotrotz eine führende staatliche Kunstinstitution, die neben der Zentrale in Moskau zuletzt über sieben Filialen im ganzen Land verfügte.

Programmatisch spielte dabei die Kooperation mit internationalen Partnern eine zentrale Rolle. Doch das war einmal: Im November wurde das Zentrum als eigenständige Institution aufgelöst und in die Abteilung eines Ausstellungsbüros verwandelt.

Dieses Ende war im Mai überraschend eingeleitet worden: Kulturminister Wladimir Medinski verkündete damals die Übernahme des Kunstzentrums durch das staatliche Ausstellungsbüro Rossiso, das vor allem organisatorische Hilfsdienste leistet sowie eine Sammlung offiziöser Sowjetkunst verwaltet. Zuletzt war das Büro zudem mit einem Projekt aufgefallen, in dem Reproduktionen kanonischer Gemälde des sozialistischen Realismus in ganz Russland verteilt wurden.

Kein merklicher Widerstand

Merklicher Widerstand gegen die als feindliche Übernahme wahrgenommene Fusion blieb aus. Für den langjährigen GZSI-Direktor Michail Mindlin gab es Zuckerbrot und Peitsche: Einerseits wurde er in ein Museum für altrussische Kunst weggelobt, andererseits wenige Tage nach seiner Ablöse in einem prominenten Strafverfahren stundenlang als Zeuge verhört.

Ermittler des Geheimdiensts FSB beschäftigen sich seit März mit Kickback-Zahlungen, die im Zusammenhang mit Restaurierungsprojekten an einen Vizekulturminister geflossen sein sollen. Nachdem im Dezember keine Gefahr mehr drohte, im Verfahren zum Beschuldigten zu avancieren, meldete sich der Exdirektor zu Wort. Er stellte die Fusion in eine Reihe mit der Zerschlagung des legendären Museums für die neue Kunst des Westens in Moskau, das 1948 Stalins Kampagne gegen den Kosmopolitismus zum Opfer gefallen war.

Apparatschik an der Macht

Kurz nach der formalen Fusion im Sommer war zunächst unklar gewesen, welche Ziele Rossiso-Direktor Sergej Perow mit dem übernommenen Kunstzentrum verfolgen würde. Das Streben nach einer russischen Spielart des Centre Pompidou galt als unwahrscheinlich: Der 43-Jährige ist Absolvent einer Militärakademie, er arbeitete im Apparat der Putin-Partei Einiges Russland und auch im Kreml.

Erst im November wurde bekannt, dass Perow die Filialen des Zentrums für zeitgenössische Kunst in der Provinz einstweilen unangetastet lassen würde, die Moskauer Zentrale in der bisherigen Form jedoch zerschlagen würde. Als einen der ersten Schritte verkündete er die Schließung des wichtigsten Ausstellungssaals in Moskau, zudem beschloss er die formale Auflösung des GZSI als eigenständige Rechtsperson.

"Verletzung der Gefühle"

Gleichzeitig scheiterte eine seit langem vom Zentrum geplante Retrospektive polnischer Performancekunst an Perows Einspruch: Der neue Direktor wollte eine historische Arbeit des bekannten Künstlers Jerzy Beres (1930-2012) wegen möglicher "Verletzung der Gefühle von Gläubigen" nicht zeigen. "Skandale sorgen nicht dafür, dass zeitgenössische Kunst stärker geliebt wird", begründete er dies in einem Interview. Mit dieser Selbstzensur verstieß Perow jedenfalls gegen einen Grundsatz des Zentrums – trotz eines schwierigen kulturpolitischen Klimas waren hier auch provokante Kunstwerke stets gezeigt worden.

Ideologische Motive und Vorwürfe, dass sich das Zentrum nicht mit der "richtigen" Kunst beschäftigt habe, seien bei der Zerschlagung jedoch nachrangig gewesen, ist der ehemalige künstlerische Leiter und GZSI-Mitbegründer Leonid Baschanow überzeugt. "Während für uns zeitgenössische Kunst und der künstlerische Prozess im Vordergrund standen, sahen andere den wirtschaftlichen Aspekt unserer Tätigkeit", erklärt er gegenüber dem Standard.

Gleichzeitig ortet Baschanow Parallelen zu den 1970ern. Damals beschäftigte sich der KGB mit progressiven Museen und Galerien, um mit ihrer Hilfe den künstlerischen Underground besser kontrollieren zu können. Derartige Kontrollbemühungen seien im aktuellen Russland wieder zurückgekehrt, berichtet Baschanow: "Schon in den letzten Jahren sind wieder zuständige 'Kuratoren' (des FSB, Anm.) in Kulturinstitutionen aufgetaucht."

Kontrolle der Kunst

Es gibt keine Indizien, dass Rossiso-Direktor Sergej Perow selbst für den Geheimdienst arbeitet. Er agiert jedoch wie klassische Kreml-Bürokraten, deren autoritärer Managementstil mit einem Faible für Geheimhaltung in enger Verwandtschaft mit sowjetischen Vorbildern steht.

Die Verhinderung der polnischen Performanceausstellung illustriert aber auch, dass sich Perow in seiner Institution als staatliches Kontrollorgan für zeitgenössische Kunst positionieren möchte. Diese war in Putins Russland zunehmend verdächtigt worden, eine Agentin des Westens zu sein. Mit Ausstellungen kritischer Kunst, die einem konservativen und patriotischen Trend in Russlands aktueller Kulturpolitik laut widersprechen könnte, ist nach der Auflösung des GZSI einstweilen jedoch nicht mehr zu rechnen. (Herwig G. Höller aus Moskau, 3.1.2017)