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Polizisten haben in der Silvesternacht hunderte junge Männer aus dem nordafrikanischem Raum kontrolliert, die am Kölner Hauptbahnhof angekommen waren. Polizeichef Jürgen Mathies rechtfertigte das Vorgehen, das von den Grünen kritisiert wurde.

Foto: Reuters/Wolfgang Rattay

Köln/Wien – Sechs Buchstaben in einem Tweet sorgen auch Tage nach der Silvesternacht noch für großen Wirbel. "Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft", ließ die Kölner Polizei zum Jahreswechsel über Twitter wissen. In den sozialen Medien folgten darauf Rassismusvorwürfe, denn mit "Nafris" sind grundsätzlich Nordafrikaner gemeint.

Schließlich griff die Debatte auch auf die Politik über. Grünen-Chefin Simone Peter bezeichnete den Ausdruck "Nafris" als "inakzeptabel", auch Amnesty International übte Kritik. Stimmen aus Bundesregierung, CDU und Polizeigewerkschaft verteidigten dagegen das Vorgehen in der Silvesternacht.

Für Rafael Behr gibt es bei der Angelegenheit einige offene Fragen. Klar ist, dass es in der Polizeikultur eine Fülle von Idiomen gibt, die die Öffentlichkeit nicht mitbekommen soll, sagt der Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg zum STANDARD. Dazu gehören auch Abkürzungen für bestimmte Personengruppen, das sei legitim.

Zwei "Nafri"-Bedeutungen

Bei "Nafri", so Behr, gibt es nun zwei Bedeutungsmöglichkeiten: "Die erste Variante ist Nordafrikaner, ein Phänotypus. Das würde allerdings nicht das 'i' erklären." Der letzte Buchstabe weist auf die zweite Möglichkeit hin: nordafrikanischer Intensivtäter. "Diese Variante hätte schon eher eine stigmatisierende Bedeutung, weil damit Täter gemeint sind", so Behr. Die Kölner Polizei beruft sich nun auf die erste Bedeutungsmöglichkeit – welche tatsächlich intern gemeint war, lässt sich im Nachhinein vermutlich nicht mehr feststellen.

Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies bedauerte die Verwendung von "Nafris", verteidigte aber, dass seine Beamten am Hauptbahnhof hunderte nordafrikanische Männer eingekesselt und überprüft haben, damit, dass diese Personen mit einer gewissen "Grundaggressivität" aufgetreten seien. "Hier wäre meine Frage an die Kölner Polizei, was genau damit gemeint ist", so Polizeiwissenschafter Behr, "denn man kann sich vorstellen, dass Personen in einer Gruppe nicht ruhig bleiben, wenn sie von der Polizei eingekesselt werden." Dies, so Behr, muss noch geklärt werden, möglicherweise im Innenausschuss des Landtags oder gar in einem Untersuchungsausschuss.

Übergang der polizeilichen Medienpolitik

Dass ein eigentlich polizeiinterner Begriff wie "Nafri" überhaupt an die Öffentlichkeit gelangte, sei Folge eines Übergangs in der Medienpolitik der Exekutive. "Normalerweise prüft die Pressestelle, was nach außen gelangt. Jetzt wird das bewusst unterlaufen, um schnell in den sozialen Medien aktiv zu sein", sagt Behr. Die dafür verantwortlichen Beamten, meist junge Menschen, "verwenden auch eine Sprache, bei der sie denken, das ist jetzt besonders kernig". Das bedeutet, dass die Grenze zwischen innerer und äußerer Polizeikommunikation nicht mehr so gesichert ist wie früher.

Behrs generelles Fazit zum Einsatz in der Kölner Silvesternacht: Es hätte schlimmer kommen können. "Die Polizei stand nach dem Kontrollverlust im Vorjahr unter enormem Druck, Journalisten aus aller Welt waren angereist", sagt Behr. Kritiker hätte es so oder so gegeben. "Allerdings, und das hat man auch schon beim Amoklauf in München gemerkt, als die Polizei mit allem aufgefahren ist, was sie hatte: Die Kritik kommt immer von einer Minderheit, und die Kritik an der Kritik stammt von einer breiten Mehrheit." Das, so Behr, sei eben gerade die Stimmung in Deutschland: dass zu viel Polizei besser ist als zu wenig. (Kim Son Hoang, 2.1.2017)