Das Opus maximum der letzten Jahre: Seine raumgreifende Multimedia-Installation "The Refusal of Time" zeigte der südafrikanische Polyartist William Kentridge erstmals 2012 auf der Documenta 13 in Kassel. Im Sommer wird sie im Museum der Moderne Salzburg gezeigt.


Foto: White Chapel Gallery

Freier Fall in die Kunst, das ist es, wohin einen der südafrikanische Polyartist William Kentridge mitnehmen will, ein spartenzertrümmernder Pendler zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, zwischen sich und der Welt, zwischen Anfang und Ende, Wissenschaft, Kunst, Spiritualität, Philosophie, Musik, Film, Malerei, Animation, Installation , Bühnenbild, Opernregie, Mathematik, Astronomie. Klingt verwirrend? Ist es auch.

Denn letztlich geht es um alles, nie um nichts. Mathematik, Astronomie, Schwarze Löcher in unserer Fantasie und in den Pluriversen. Schnell mal vorbeigehen, bisschen schauen, Bildbeschriftungen lesen? Geht nicht. "Man kann sich der Zeit nicht verweigern", sagt Kentridge. Zeit ist Leben. Und Zeit ist Kunst: fragmentiert, umgedreht, gestoppt. Relativitätstheorie trifft Anarchie.

Alles ist relativ. Thick Time nennt er die Ausstellung in der Londoner White Chapel Gallery, übrigens eine Kooperation mit dem Museum der Moderne (MdM) Salzburg. Nach London und nach dem Louisiana Museum of Modern Art in Humlebæk wird sie nach Salzburg übersiedeln, wo Kentridge sein Festspieldebüt geben und Alban Bergs Wozzeck im Haus für Mozart inszenieren wird.

Über mehrere Stockwerke erstreckt sich Kentdridges unergründliches Wunderland aus Zauber-Zeit-Maschinen, aus Geräuschen, Musik, Bildern und Welt-entwürfen. Zeichnungen, Wandteppichen, Collagen. Und vor allem seinen bild- und wirkmächtigen Installationen. 30 Minuten sollte man sich allein schon für sein Opus maximum nehmen: The Refusal of Time zeigte er 2012 auf der Documenta 13.

Schein und Sein

In der Mitte des Raumes ein riesiges Perpetuum mobile, Objekte aus Holz, Kisten, Sessel, Regale, Leitern, Lampen, Stative. Das, womit wir unser Leben anräumen. Über fünf Riesenleinwände flimmern Geschichten und Bilder, abstrakte und ganz reale, Kentridge als Regisseur, Tanzeinlagen, animierte Zeichenkringel. Es ist eine Mischung aus Slapstick, alter Filmästhetik und Theaterrevue, untermalt von Metronomen, kreisenden und kreischenden Rädern und Musik. "Stehst am Fenster, starrst auf Steine. Aus der Wanduhr tropft die Zeit", Erich Kästners Kleines Solo geht einem durch den Kopf.

Fantasievoll gekleidete Schauspieler paradieren im Setting von Kentridges Zeichnungen.Landkarten als Erinnerung an Kolonialisierung, Sklaverei, Unterdrückung, Naziterror. Krieg und Frieden. Schein und Sein.

Als "Anti-History" hat ein englischer Kritiker diese Monumentalinszenierung um Vergänglichkeit und Sein umschrieben, die auf einem Gespräch zwischen Kentrigde und dem Wissenschaftshistoriker Peter Galison gründet, der argumentiert, dass, bedingt durch die Lichtgeschwindigkeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur Trugbilder sind. Muss man das alles wissen, um die Schönheit und Eleganz der Installation zu verstehen? Nicht unbedingt, aber, ja, Goethe hatte recht, wenn er sagte: "Man sieht nur das, was man weiß."

Am Ende das Drama

Kentridge, geboren 1955 in Johannesburg in Südafrika, war ein glühender Gegner des Apartheidsystems. Nach dem Studium der Politologie und Afrikanistik wechselte der Anarchist, Rebell, Poet, Melancholiker und rastlose Geist an die berühmte Pantomimenschule von Jacques Lecoq in Paris. Bald folgten internationale Ausstellungen, Inszenierungen, Bühnenbilder.

Kentridge ist ein interessanter Erzähler, seine Epen, bildnerischen Dramen und Filme handeln von politischen Verwerfungen, Hoffnungen: Möglichkeiten und Schattenseiten der Welt von gestern, heute und morgen. Concerning Narrative heißt denn auch eine Arbeit aus seiner Serie Second Hand Reading, bei der er über die Seiten eines Wörterbuches malte und schrieb. Oder: Let the Drama Begin at the End. (Andrea Schurian, 4.1.2017)