Die 1500 Polizisten waren gegen den angreifenden Mob in Bengaluru machtlos, berichten Zeugen.

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Bengaluru/Wien – Es war kurz nach 23 Uhr am Silvesterabend in der indischen Millionenmetropole Bengaluru, als die 25-jährige Manisha Gupta von einem Mob attackiert wurde. Die Straßen waren vollgepackt mit rund 50.000 Menschen, die in Indiens drittgrößter Stadt den Jahreswechsel feiern wollten, als Gupta die Hände auf sich spürte, die sie begrapschten. In einem Beitrag für die Times of India schreibt die junge Frau von den gesichtslosen Angreifern in der Menge, die nach weiblichen Körpern griffen. Gupta erzählte von weinenden Frauen und Polizisten, die gegenüber den Angreifern in der Unterzahl waren. Rund 1500 Polizisten konnten nichts gegen die Menge ausrichten.

Ein weiterer Augenzeuge wurde in den Medien zitiert, laut dem der Mob von Männern "unerbittlich" war. Vielen Frauen sei versucht worden die Kleider vom Leib zu reißen. Der Bangalore Mirror veröffentlichte Fotos, auf denen Frauen zu sehen sind, wie sie sich an weibliche Polizisten klammern oder von Männern weggetragen werden.

45 Kameras ausgewertet

Dass die Angreifer gesichtslos blieben, weil die Attacken für viele Opfer zu schnell passierten, war auch der Grund, wieso die Polizei erst am späten Dienstagabend eine Untersuchung einleiten konnte. Es war bis dahin keine Anzeige eingegangen. Der Polizeichef von Bengaluru, Praveen Sood, sprach im Interview mit der Hindustan Times von "glaubwürdigen Beweisen", die die Ermittler erhalten hätten. Aufnahmen von 45 Überwachungskameras aus dem Stadtzentrum werden ausgewertet.

Die Times of India hatte zuvor Aufnahmen von einer Überwachungskamera veröffentlicht, auf denen eine Attacke zu sehen ist. In einer Seitenstraße versperrten zwei Angreifer mit ihrem Motorroller einer Frau den Weg und begrapschten sie. Der Vorfall ereignete sich wenige Stunden nach Mitternacht am Neujahrstag.

Umstrittene Politikeraussagen

Kurz nach den ersten Meldungen über die Massenangriffe, die an die Attacken in der Silvesternacht in Köln vor einem Jahr erinnern, meldete sich der Innenminister des Bundesstaats Karnataka zu Wort, in dem Bengaluru liegt. Der westliche Kleidungsstil der Frauen sei eine Ursache für die Angriffe gewesen: "Sie versuchen die westlichen Frauen zu kopieren, nicht nur ihre Einstellungen, sondern auch ihre Kleidung. Also geschehen manche Belästigungen, manche Mädchen werden begrapscht, diese Dinge passieren." Und auch ein Abgeordneter des Bundesstaats Maharashtra beschwerte sich im Fernsehen, dass, "je nackter eine Frau aussieht, sie umso moderner genannt wird".

Die Aussagen hatten einen öffentlichen Aufschrei zur Folge. Die Nationale Frauenkommission sprach von "ekelhaften Wortmeldungen". Und auch Indiens Innenminister, Rajnath Singh, sagte zu Journalisten, dass "der Schutz des Anstands der Frauen die Aufgabe der Regierung" sei.

Kritik an Politik

Sexuelle Attacken auf Frauen in Indien sind in den vergangenen Jahren vermehrt in den öffentlichen Blick geraten. Vor allem die Vergewaltigung einer 23-Jährigen in einem Bus in der Hauptstadt Neu-Delhi 2012 hatte eine breite nationale und internationale Debatte zur Folge. Das Opfer war seinen Verletzungen erlegen. Doch obwohl es seitdem härtere Strafen für sexuelle Belästigung und Missbrauch gibt, wird der Politik und der Polizei vorgeworfen, das Thema nicht ernst zu nehmen.

Die jüngsten Zahlen aus dem Jahr 2015 zeigen mehr als 34.600 gemeldete Vergewaltigungen im Land. Laut Experten nur ein Bruchteil der tatsächlichen Verbrechen, da in Indien die Opfer sexueller Gewalt oftmals stigmatisiert werden. (bbl, 4.1.2017)