
Noch der alte Botschafter, schon die neue Chefin: Ivan Rogers überlässt in Brüssel am 20.10.2016 Theresa May die Bühne.
Zu Jahresbeginn wollte eigentlich Premierministerin Theresa May mit einer programmatischen Rede die Brexit-Diskussion auf der Insel diktieren. Stattdessen hat der abrupte Rücktritt des britischen EU-Botschafters die Planlosigkeit der Londoner Regierung und die tiefen ideologischen Gräben innerhalb der konservativen Partei offenbart. Seine politischen Vorgesetzten hätten sich bisher auf "keine Verhandlungsziele" geeinigt, betont der Spitzenbeamte Ivan Rogers in seinem Abschiedsschreiben. Stattdessen seien im Regierungsviertel Whitehall "Verwirrung und unbegründete Argumente" an der Tagesordnung.
Rogers' Abteilung war bei der Regierungsumbildung im Juli aus dem Foreign Office von Außenminister Boris Johnson in das neugegründete Brexit-Ministerium unter David Davis verlegt worden.
Von Anfang an hatte es Klagen aus der Beamtenschaft gegeben, die beiden EU-Feinde sowie der als Fanatiker bekannte Außenhandelsminister Liam Fox hätten nur an solchen Meinungen Interesse, die ihre eigenen Vorurteile bestätigten. "Schwarz wird zu Hellgrau erklärt", berichtete ein Insider im September; selbst eindeutige Nachteile des Austritts würden in regierungsinternen Papieren nicht mehr deutlich benannt.
Mann klarer Worte
Hingegen gilt Rogers als Mann klarer Worte – wenn auch stets hinter verschlossenen Türen. Kurz vor Weihnachten war ein Memo bekannt geworden, in dem er seine Londoner Vorgesetzten vor allzu großem Optimismus gewarnt hatte: Verhandlungen über ein neues Handelsabkommen mit den 27 verbleibenden EU-Partnern könnten "bis zu zehn Jahre" dauern. Die Expertise sorgte für Ärger in der Regierung, die Warner vor negativen Brexit-Folgen gern zu Miesepetern erklärt. Hingegen sollten seine Mitarbeiter auch in Zukunft "niemals Angst davor haben, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen", schrieb der Spitzendiplomat, der früher unter anderem dem früheren Tory-Finanzminister Kenneth Clarke und Labour-Premier Tony Blair als Privatsekretär gedient hatte.
Prinzip der Neutralität
Großbritanniens Ministerialbürokratie hält sich viel auf ihre parteipolitische Neutralität und Loyalität gegenüber den jeweils geltenden Regierungspositionen zugute. Allerdings haben Minister unterschiedlicher Couleur immer wieder darüber geklagt, ihre erklärten Ziele würden von den Beamten nicht oder nur zögerlich umgesetzt.
In der Europapolitik tritt der Gegensatz besonders deutlich zutage: Die dünn gesäten Experten im Umgang mit Brüssel neigen dazu, dem europäischen Einigungsprojekt positiv gegenüberzustehen.
Dieses Misstrauen gegenüber der Beamtenschaft sprach am Mittwoch aus den Äußerungen konservativer EU-Feinde wie Ex-Minister Iain Duncan Smith. Hingegen beklagten frühere Spitzendiplomaten wie Tony Blairs langjähriger Büroleiter Jonathan Powell den Verlust eines der wichtigsten EU-Experten: Sollten Minister nicht mehr die Wahrheit hören, sondern lieber "in einem Fantasieland leben" wollen, wäre dies ein Desaster für das Land.
"Bedenkliches Licht"
Offenbar stieß Rogers nicht so sehr bei seinem eigenen Ressortchef Davis auf Widerstand, sondern bei den engsten Beratern der Premierministerin, Nick Timothy und Fiona Hill.
Deren ruppiges Umgehen mit Spitzenbeamten werfe "ein bedenkliches Licht" auf Mays Regierungshandeln, das sich bisher durch eine Kombination von "übermäßiger Kontrolle und Nachlässigkeit" auszeichne, mahnte die konservative Zeitung "The Times". Hill war erst kürzlich durch einen öffentlichen Schlagabtausch mit der früheren Bildungsministerin Nicky Morgan in die Schlagzeilen geraten. Morgan gehört zu rund einem Dutzend hochkarätiger Tory-Abgeordneter, die auf einen ordnungsgemäßen, in beiderseitigem Einvernehmen erzielten EU-Austritt drängen. (Sebastian Borger, 4.1.2016)