Bis in die 1990er-Jahre behauptete der Diskurs der Rassisten und "Ausländerfeinde" in Österreich und in Deutschland, die Türken würden "uns" deshalb Probleme bereiten, weil sie Türken seien. Seit dem Erstarken des sogenannten politischen Islam, vor allem seit den Anschlägen von 9/11, behauptet der neue rassistische Diskurs, die Türken (die Araber, die Nordafrikaner, die Iraner ...) würden "uns" Probleme bereiten, weil sie Muslime seien.

Seither gilt der Islam als eine – mit Marx zu sprechen – den Türken (den Arabern, den Nordafrikanern ...) "an und für sich selbst zukommende Eigenschaft". Die Kategorie "Islam" funktioniert hier als Fetisch im Marx'schen Sinn: Eine gesellschaftlich (sprich durch das Sich-Bekennen gläubiger Muslime oder durch die Fremdzuschreibung an die Adresse tatsächlicher oder vermeintlicher Muslime) hergestellte Verknüpfung zwischen einzelnen Subjekten und dem Islam erscheint als eine naturgegebene. Der Zusammenhang zwischen dem Islam und den Türken (den Arabern, den Iranern ...) wird als ein unauflöslicher, quasi genetischer aufgefasst.

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Volle Identifizierung

Diese "volle Identifizierung" von real existierenden Individuen mit der imaginären Kategorie Islam (imaginär, weil es sich hier um Glaubensvorstellungen handelt) ist unabdingbare Voraussetzung des neuen Rassismus. Voraussetzung für die Kritik dieses Rassismus wäre daher die Kritik dieser Voraussetzung.

Der sich selbst als "antirassistisch" missverstehende Diskurs des linken und liberalen Mainstreams kann diese Kritik aber schon deshalb nicht leisten, weil er mit den Hetzern von FPÖ, AfD und Co die Grundvoraussetzung ihres Diskurses teilt – ebenjene Ideologie der "vollen Identität" (Isolde Charim)¹ zwischen Individuen aus bestimmten Ländern und dem Islam, was sich deutlich an Kampfbegriffen wie "Islamophobie" ablesen lässt: Wer nicht müde wird, die Angst vor dem Islam beziehungsweise die Feindschaft gegen den Islam als "rassistisch" zu bezeichnen, für den existiert ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen der imaginären Kategorie "Rasse" und – einem Glaubensbekenntnis. "Rassistisch" wäre "Islamophobie" dann (und nur dann), wenn wir den Islam zur unauflöslichen, "rassischen" Eigenschaft von Türken, Arabern oder Iranern erklärten – eine ihrerseits zutiefst rassistische Position.

Denn: Rassistisch ist selbstverständlich nicht die Angst vor einem – oder die Ablehnung eines – Glaubensbekenntnis(ses), sondern einzig die falsche – und fixe – Verknüpfung von Herkunft und Religion.

Kein Existenzrecht außerhalb der Sphäre des Islam

Für "Antirassisten" des linken und liberalen Mainstreams hat – genauso wie für die Rassisten von FPÖ, AfD und Co – die Beziehung vermeintlicher oder tatsächlicher Muslime zum Islam einen buchstäblich existenziellen Charakter. Menschen, die aus Gesellschaften mit islamischer Bevölkerungsmehrheit stammen oder einen entsprechenden "Migrationshintergrund" haben, kommt aus dieser Perspektive außerhalb der Sphäre des Islam kein Existenzrecht zu. Der vermeintliche oder tatsächliche Muslim ist aus dieser Sicht durch und durch Muslim, scheint mit dem Islam nicht bloß identifiziert, sondern identisch zu sein.

Was hier (meist unbemerkt) auf der symbolischen Ebene des Diskurses passiert, hat im Umgang vieler islamischer Gesellschaften mit dem Phänomen der Apostasie (des Abfalls vom Islam) eine unheimliche reale Entsprechung: In Saudi-Arabien, dem Sudan, dem Jemen, dem Iran, Katar, Pakistan, Afghanistan, Somalia und Mauretanien kann der Abfall vom Islam mit dem Tod bestraft werden.

Falsche fixe Verknüpfung zwischen Islam und Individuen

Was würde es aber bedeuten, diese weitverbreitete Ideologie der "vollen Identität" zu brechen, jene falsche fixe Verknüpfung zwischen dem Islam und Individuen aus Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit aufzulösen?

Es würde zum einen dem trivialen Umstand Rechnung tragen, dass Gesellschaften mit islamischer Bevölkerungsmehrheit selbstverständlich nicht nur aus bekennenden Muslimen bestehen, sondern auch aus Christen, Juden, Atheisten, Agnostikern et cetera, und dass das natürlich auch für aus diesen Ländern stammende Migranten gilt: jene vermeintlichen – aus Sicht der FPÖ und der Pegida-Rassisten "optischen" – Muslime, denen häufig dieselben Ressentiments entgegengebracht werden wie ihren muslimischen Landsleuten.

Entscheidender ist aber, dass ein erstaunlich großer Teil der in Deutschland lebenden Migranten oder der Menschen mit "Migrationshintergrund", die aus Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit (und auch tatsächlich aus muslimischen Familien) stammen, in Umfragen angibt, nicht Muslim zu sein – so etwa 50 Prozent der aus dem Iran, 63 Prozent der aus Südosteuropa und 36 Prozent der aus dem "Nahen Osten" stammenden Befragten.

Für die deutsche Bundesregierung hingegen zählen all jene Migranten, die aus einem "mehrheitlich muslimischen Land" stammen, sowie alle deutschen Staatsbürger mit einem entsprechenden "Migrationshintergrund" als Muslime – cuius regio, eius religio (wes der Fürst, des der Glaub'). (Sama Maani, 10.1.2017)

Fortsetzung folgt.

¹ Isolde Charim, Volle Identität gegen nicht-volle. In R. Just, G. R. Schor (Hrsg.), Vorboten der Barbarei, Hamburg 2011.