Zeigt, wie sich hinter vermeintlichem Fortschritt wesentliche Rückschritte verbergen können: Cordula Simon.

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Cordula Simon, "Wie man schlafen soll". € 20,00 /196 Seiten. Residenz, Salzburg 2016

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Cordula Simon ist versiert in puncto Endzeitstimmung. 2013 hat sie das mit dem Roman Ostrov Mogila bewiesen, und auch ihr neues Buch ist eine Apokalypse, und zwar – zeitgemäß – ein Weltuntergang als Wirtschaftskollaps.

Wie man schlafen soll handelt vom Untergang einer Stadt, Lightraff, einer Instantmetropole in Firmenbesitz, erbaut um ein Ölfeld, offiziell als "weiße Stadt" angepriesen, modern, klinisch sauber, mit Kehrrobotern und Automaten für saubere Wäsche.

Ihren Bankrott beobachten wir aus der Perspektive dreier Leute, die ihre Jobs verlieren. Als Vertreter unterschiedlicher Schichten durchleben sie nun drei sozial gestaffelte Variationen auf Kleiner Mann – was nun?. Rundherum findet sich die im Zukunftsgenre wohl unausweichliche Tristesse: das Ökosystem zerstört, die Rohstoffe knapp, die Staatsmacht entmutigt. Es floriert, so scheint es vorerst, einzig "die Firma", die längst keinen Namen mehr braucht, so allgegenwärtig ist sie.

Dass gegenwärtig Politik und Privatleben von Wirtschaftsinteressen ausgehöhlt werden, ist Optimisten zufolge ja noch Gegenstand von Verhandlungen; in Simons Roman ist die Sache erledigt, Privatsphäre ist Vergangenheit und der Mensch auf dem Weg ins Firmeneigentum.

Außerdem zeigt Simon geschickt, wie sich hinter vermeintlichen Fortschritten wesentliche Rückschritte verbergen könnten: Der Roman, so der Kunstgriff, spielt in einer Zukunft, die sich ein paar unschöne Requisiten aus der Vergangenheit geborgt hat.

Die Bettgeher

Das gilt vor allem für das zentrale Motiv: In Simons Szenario müssen sich die drei Helden ein Bett – eigentlich der intime Ort schlechthin – im Schichtbetrieb teilen. "Nicht ein Körper formte das Bett. Drei Körper hatten diese Form der Matratze geprägt, den Geruch bestimmt."

Da sind sie wieder, die Bettgeher frühindustrieller Zeiten; Simon schreibt einen Sci-Fi-Roman, in dem wir auf dem Weg vom Lohnsklaven über den Angestellten zum Konsumenten schließlich wieder beim Lohnsklaven angekommen sind. Melvilles Bartleby, der einen kleinen Cameo-Auftritt hat, stirbt hier passenderweise nicht an seiner heroischen Verweigerungshaltung, sondern an Überarbeitung.

Lightraff jedenfalls ist nicht rentabel, wurde nie fertiggebaut, ein Potemkin'sches Dorf. Statt Löhnen werden irgendwann nur noch Naturalien ausgezahlt (der Schlachthof etwa zahlt in Gelatine), die höhere Verwaltung ist still und heimlich abgezogen.

Der Jobverlust macht die drei Bettgeher erstmals enger miteinander bekannt, und das kann nicht gutgehen: Nicht nur, weil die drei Typen unterschiedlicher nicht sein könnten – ein Barkeeper (ehemals verkrachter Künstler), ein übellauniger Verwaltungsbeamter und ein Schlachthofarbeiter, den die Landflucht hereingeschwemmt hat -, sondern auch, weil auf soziales Miteinander schlicht keiner mehr eingestellt ist.

Das ist letztlich aber egal: Um die Stadt nämlich endgültig auszulöschen und um der Sache eine biblische, vielleicht auch eine Nestroy'sche Note zu geben, ist am Himmel ein Komet auszumachen, und es lässt sich erraten, wo er landen wird.

Die Welt steht nimmer lang

Die Welt also steht auf keinen Fall mehr lang; in der verbleibenden Zeit allerdings kommt Simons Apokalypse nicht so richtig in die Gänge. Fahrplanmäßig naht der Untergang, trudeln Kündigungsschreiben ein, verlassen die Ratten das sinkende Schiff. Dass einer schon kurz vor dem großen Knall stirbt, erfährt man gleich am Anfang; dass es am Ende nur noch mäßig interessiert, hat unter anderem mit der Figurenzeichnung zu tun.

Man erinnert sich diesbezüglich vielleicht noch: Simons letzter Roman, Ostrov Mogila, hatte sich neben viel verdienter Anerkennung auch den Vorwurf gefallen lassen müssen, er werde zwar aus zahlreichen Perspektiven erzählt, diese würden jedoch alle ziemlich gleich klingen.

Das konnte man so sehen, es konnte aber auch dem Kalkül des Textes geschuldet sein, der viel mehr apokalyptische Burleske als eine Erzählung unter realistischen Prämissen sein wollte. In einer erzählerisch ausgetüftelten Konstruktion tummelten sich dort Menschen und Fabelwesen in einem durch erotische Fehltritte (!) ausgelösten Untergangsreigen.

Dass aus all den Handpuppen letztlich dieselbe Stimme zu hören war, tat der Sache keinen Abbruch: Ostrov Mogila war eine ausgesprochen gewitzte, vor originellen Settings und Figurenkonstellationen überquellende Apokalypse.

Hier hingegen ist der Weltuntergang aufs Wesentliche beschränkt. Erzählt wird (von Zwischenkapiteln abgesehen) aus den genannten drei Perspektiven, und die unterscheiden sich sprachlich sehr deutlich voneinander. Was sind das allerdings für Idiome, die den drei Helden da umgehängt werden: "Verschissene Drecksstadt", "stures Stück", "dummes Arschloch", so das wenig originelle Register des Cholerikers; dem anderen verunglücken die sprachlichen Bilder: "Der Regen stürzte aus dem Himmel, als hätte es dieser viel zu gut gemeint."

Neigung zu Schnitzern

Dass es sich dabei um Anspielungen auf die missglückten schriftstellerischen Versuche der Figur handelt, bleibt eine vage Hoffnung des Lesers. Der dritte wiederum, der Mann vom Lande, spricht und denkt zur Kennzeichnung seines einfachen Naturells in besonders kurzen bis hin zu Ein-Wort-Sätzen.

Na ja. Kaum der Rede wert, dass die Dialoge zwischen solchen Leuten mitunter dünn sind, eher der Rede wert ist eine Tendenz im Text (schon vom zweiten Satz an), die auf den ersten Blick wie poetische Widerständigkeit aussieht, sich aber immer wieder als Neigung zu perspektivischen, grammatikalischen o. ä. Schnitzern entpuppt.

Zum Fahrplanmäßigen dieses Untergangs ließe sich immerhin noch anmerken: Das Ende einer Apokalypse steht ohnehin fest, wozu also die Eile; die Abwicklung ist beklemmend plausibel, das Setting gut gewählt.

Bleiben also, und das ist nicht zu verachten, ein konsequent durchgezogenes wirtschaftliches Verhängnis – und ein paar Draufgaben: nützliche Hinweise etwa dazu, was mit großen Mengen an Speisegelatine anzufangen wäre, ein paar ironische Seitenhiebe auf gegenwärtige Unarten (E-Reader, Foodporn) und eine interessante Haftungsausschlussklausel zu den Gefahren des Lesens: "Kein Buch", liest da einer in einem Buch, "kann dich am Leben lassen, sobald du verstanden hast, von wem es erzählt." Wir haben verstanden. (Bernhard Oberreither, 7.1.2017)