Der Film "Mafioso" von Alberto Lattuada – ein exzentrisches Schlüsselwerk mit Folgewirkung.

Foto: Cinémathèque suisse

Wien – Der Mann blickt nach vorne, die Frau nach hinten: Als die Familie Badalamenti ganz im Süden Italiens die Fähre nach Messina nimmt, da ist es für Antonio Badalamenti der Auftakt zu einer Heimkehr im Triumph. Seine Frau Marta aber erlebt die Passage mit Bangen. Für sie sieht es so aus, als müsste sie gerade Italien verlassen, um in ein gänzlich anderes, ein unbekanntes Land zu gelangen: Sizilien.

Die Szene aus Alberto Lattuadas Film Mafioso (1962) ist charakteristisch für das gesamte Verhältnis Italiens zu der Insel an der Südspitze des "Stiefels".

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Einerseits ist das Kernland: Nirgendwo ist man der volkstümlichen Identität des Landes näher als in den wilden Gegenden zwischen Palermo und Syrakus. Andererseits kann man sich nie ganz sicher sein, ob man nicht gerade die Zivilisation verlässt. Da hilft auch der Hinweis des Ingenieurs Badalamenti auf die große Stromleitung nichts, die über das Meer eine wichtige Verbindung zwischen Festland und der Insel schafft.

Küsse die Hand

Badalamenti (mit kaum verhohlener Panik in der Euphorie gespielt von dem wunderbaren Alberto Sordi) hat den Absprung geschafft – er hat im Norden Karriere gemacht. Doch nun, beim ersten Heimaturlaub, hat er nichts eiliger zu tun, als mit Marta und den beiden Töchtern bei Don Vincenzo vorstellig zu werden. Baciare le mani, die Hände küssen, das ist mehr als eine Geste der Höflichkeit, das ist eine Bekundung von Abhängigkeiten.

In dem Programm Sizilien, das im Österreichischen Filmmuseum (bis 9. Februar) zu sehen ist, ist der Streifen Mafioso so etwas wie ein Schlüsselwerk: eine finstere Sittenkomödie, die mit ihrer exzentrischen Pointe fast schon auf die Sopranos vorauszuweisen scheint.

Das Nachkriegskino

Kino der Inseln: Eine italienische Reise lautet der Untertitel der Schau, mit der das Filmmuseum seine inzwischen schon über viele Jahre fortgesetzte Recherche zu diesem an Bedeutung kaum zu überbietenden europäischen Nachkriegsnationalkino vorerst abschließt. Man kann an der Auswahl der Filme noch einmal sehr gut erkennen, wie sich die Präsentation von Filmgeschichte in den Jahren von Alexander Horwath ausgeprägt hat.

Sizilien zeigt zwar auch die unerlässlichen Zentralwerke wie Luchino Viscontis neorealistischen Fischerfilm La Terra trema oder Roberto Rossellonis Stromboli (mit seinem unehelichen Bruder Vulcano von William Dieterle) wie auch Klassiker des politischen Kinos (Salvatore Giuliano und Die Macht und ihr Preis von Francesco Rosi).

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Was soll man aber davon halten, dass ein Film wie Malizia (1973) von Salvatore Samperi hier auftaucht? Das ist doch dieser feuchte Bubentraum mit Laura Antonelli, den man früher gelegentlich spätnachts im Fernsehen erwischen konnte.

Erkämpftes Ende

Nun, im Kontext einer seriösen Retro sieht der Film Malizia plötzlich eigentlich vollkommen anders aus. Man erkennt ihn als die Komödie über die Krise der italienischen Männer, die er immer schon war, als Streifen mit einem Happyend, das härtestens erkämpft und vielen "shades of nylon" abgerungen ist.

Wie Laura Antonelli hier die "governante" zwischen Servilität und erotischer Macht schillern lässt – das sieht plötzlich ganz anders aus, wenn man eben noch in Mafioso gesehen hat, wie Marta Badalamenti der Schwägerin mit einem nur kurz schmerzhaften Waxing den recht üppigen Damenbart entfernt. Die Frauen leiden für ihre Schönheit, allerdings legen sie auch das Schwarz ab, in das sie in Sizilien traditionell verbannt waren.

Regisseure von Alberto Lattuada oder Salvatore Samperi zählten schon früher zu den Entdeckungen des Italien-Projekts im Filmmuseum. Eine der spannendsten Fragen im Falle von Sizilien ist nun, ob die Neubewertung so vieler vorschnell unter billiger Unterhaltung eingeordneter Filmemacher sich auch auf Namen wie Giuseppe Tornatore oder Marco Risi ausdehnen lässt.

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Die nunmehrige Werkschau Sizilien führt aus der Geschichte eigentlich bis fast in die Gegenwart. In Respiro (2002) kann man sehen, wie das Leben auf Lampedusa aussah, bevor die Insel zur Chiffre einer Zivilisationskrise wurde. Hüben und drüben hat auf Sizilien längst eine ganz neue Bedeutung. (Bert Rebhandl, 9.1.2017)