Wien – Spätestens seit dem Wahlkampf in den USA hat es die Globalisierung wieder in die Schlagzeilen geschafft. Lange Zeit waren die Schattenseiten der wachsenden Weltmärkte, auf denen immer mehr Autos, T-Shirts und Computer gehandelt werden, nur ein Aufreger für ein paar linke Aktivisten.
Nun zieht in gut einer Woche ein Globalisierungskritiker in das Weiße Haus ein. Noch vor seinem Jobantritt hat sich Donald Trump schon mit Ford, General Motors und dem japanischen Autobauer Toyota angelegt. Würden die Japaner Autos für den US-Markt in Mexiko produzieren, dann werde er sie mit Strafzöllen zur Kasse bitten, schrieb Trump auf Twitter.
Ihm ist es im vergangenen Jahr gelungen, die Unzufriedenheit mit dem politischen System in den USA zum Teil auf die Globalisierung zu lenken. Das macht eine Studie, die vor kurzem veröffentlicht wurde, umso relevanter. Denn der Harvard-Ökonom Elhanan Helpman hat – das liest man aus seiner Arbeit heraus – genug von der selten sachlich geführten Debatte über den grenzübergreifenden Handel mit Gütern.
Helpman wurde zu Sowjetzeiten im heutigen Kirgisistan geboren, ist israelischer Staatsbürger und lebt mittlerweile in den USA. Ihn qualifiziert also in gewisser Weise schon seine eigene Lebensgeschichte dafür, sich mit der Globalisierung auseinanderzusetzen.
Der Roboter ist's
Bedeutender ist freilich, dass er sich seit 30 Jahren mit dem Thema wissenschaftlich beschäftigt und einer der führenden Ökonomen in dem Bereich ist. In seiner Studie wollte er nun wissen, wie groß der Beitrag der Globalisierung an der weit auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich in vielen entwickelten Ländern ist. Dafür versucht Helpman aus allen bisher veröffentlichten Studien – seinen eigenen und vielen anderen – einen Konsens zu finden.
Der lautet etwas verkürzt: Wer einen Schuldigen für die auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich sucht, sollte sich lieber woanders umsehen. "Ja", schreibt er am Ende seiner Arbeit, "gut gebildete Menschen verdienen wegen der Öffnung der Märkte besser als Arbeiter mit weniger guter Qualifikation", aber unter dem Strich sei der Beitrag der Globalisierung zur Ungleichheit sehr gering.
Helpman liefert keine alternativen Erklärungen für die steigende Ungleichheit, er beschränkt sich darauf, den Beitrag der Globalisierung zu relativieren. Dazu kann man auf unzählige andere Arbeiten zugreifen. Heute sitzen in großen Fabriken zum Beispiel oft nur mehr ein paar Ingenieure, die Roboter betreuen. Diese erledigen im Ausgleich dazu Jobs, von denen früher hunderte Fließbandarbeiter leben konnten. Die zunehmende Automatisierung und der technologische Wandel sind ein treibender Faktor für die auseinanderklaffende Schere, sind sich viele Ökonomen einig.
Aber auch die Politik trägt ihren Teil dazu bei. So sind in vielen Ländern, besonders in den USA, die Steuern für Besserverdiener stark gesunken.
Reiche Chinesen
Aber warum ist sich Helpman so sicher, dass der Beitrag der Globalisierung gering ist? Ein Beispiel. Das liebste theoretische Modell von Ökonomen, um die Verteilungseffekte des Handels begreifbar zu machen: das sogenannte Stolper-Samuelson-Theorem. Das klingt kompliziert, ist aber ziemlich simpel. Wenn die USA und China miteinander Handel betreiben, dann spezialisiert sich jeder auf das, was er gut kann. Die USA, mit vielen klugen Entwickler, zum Beispiel auf Handyapps, China, mit vielen billigen Arbeitern, auf Turnschuhe.
In China sollte der Abstand der Armen zu den Reichsten dadurch sinken, weil es mehr Jobs in Fabriken gibt. Das ist aber nie passiert. Zwar gibt es weniger Arme, aber die Reichen ziehen trotzdem davon. In den USA sollten Hochqualifizierte profitieren und die Schere wachsen. Das ist zwar eingetreten. Wenn aber scheinbar nur ein Teil der Rechnung aufgehe, seien andere Schlüsse ebenso fraglich.
Auch wenn einzelne Arbeiter unter der Globalisierung leiden, schreibt Helpman am Ende seiner Arbeit, wäre es eine Schande, die Debatte ohne die Fakten zu führen, die er nun angesammelt habe. (Andreas Sator, 9.1.2017)