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Martin McGuinness zwang mit seinem Rücktritt als Vizeregierungschef auch Premierministerin Arlene Foster aus dem Amt, da die beiden Funktionen aneinander gekoppelt sind.

Foto: REUTERS/Dylan Martinez

Die Unsicherheit nach dem Brexit-Votum, persönliche Animositäten der Beteiligten sowie ein Allerweltsskandal haben nach knapp zehn Jahren die Mehrparteienregierung von Nordirland zu Fall gebracht. Nach dem Rücktritt von Vizepremier Martin McGuinness seien Neuwahlen zum Belfaster Regionalparlament "höchstwahrscheinlich", teilte der zuständige britische Minister James Brokenshire am Dienstag im Londoner Unterhaus mit. Der zweite Urnengang binnen zehn Monaten berge das Risiko, die ohnehin bestehenden Spannungen zwischen den Volksgruppen zu vergrößern: "Die Lage ist ernst."

Nachdem das Karfreitagsabkommen von 1998 den jahrzehntelangen Bürgerkrieg in der einstigen Unruheprovinz beendet hatte, brauchten die örtlichen Politiker ein knappes Jahrzehnt, um sich zu einer gemeinsamen Regierung zusammenzuraufen. 2007 kam diese unter dem Vorsitz des vorbestraften Fundamentalistenpredigers Ian Paisley von der protestantischen Unionistenpartei DUP zustande; sein katholischer Vertreter war schon damals McGuinness von der Partei Sinn Féin (SF), der sich zu seiner Vergangenheit als führendes Mitglied der Terrortruppe IRA bekennt.

Konflikte immer wieder beigelegt

Auch bei den darauffolgenden Wahlen erhielten diese beiden radikalen Parteien jeweils die meisten Stimmen und bestimmten gemeinsam die Geschicke der rund 1,8 Millionen Einwohner im Nordosten der grünen Insel. Langschwelende sektiererische Konflikte über Terrormorde beider Seiten, Oranier-Paraden sowie die Beflaggung öffentlicher Gebäude mit dem Union Jack oder der irischen Trikolore konnten die rechtskonservative DUP und die zum linken Spektrum der Sozialdemokratie zählende SF immer wieder beilegen.

Nun stolpert die unnatürliche Koalition über einen Allerweltsskandal, nämlich die Verschleuderung von Steuergeldern. Während ihrer Zeit als Wirtschaftsministerin hatte die jetzige Ministerpräsidentin Arlene Foster 2012 ein Förderungsprogramm für alternative Energien aufgelegt, ohne dessen Kosten zu bedenken. Da jedes für Holzpellets oder Biomasse ausgegebene Pfund mit 1,60 Pfund subventioniert wurde, installierten geldgierige Farmer völlig unnötige Heizsysteme und strichen bis zu sechsstellige Beträge ein. Erst im vergangenen Jahr wurde das ökologisch wie ökonomisch desaströse System gestoppt, die Kosten dürften bei mindestens 460 Millionen Euro liegen.

Unabhängige Untersuchung gefordert

Nun verlangen sämtliche Oppositionsparteien im Belfaster Landtag, zuletzt auch unterstützt von SF, eine unabhängige Untersuchung. Während dieser Zeit solle Foster ihr Leitungsamt ruhen lassen, wie das ihr Vorgänger Peter Robinson wegen einer ähnlichen Affäre auch einmal getan hatte. Doch Foster weigerte sich standhaft bis zuletzt und bezichtigte stattdessen ihre Gegner der Frauenfeindlichkeit. Die Kollegin habe "tiefsitzende Arroganz" gezeigt, ihr klarer Interessenkonflikt mache die Fortführung der Regierungsgeschäfte unmöglich, teilte McGuinness am Montag mit und trat von seinem Amt zurück. Da Premier und Vizepremier aneinander gekoppelt sind, zwang er damit auch Foster aus dem Amt.

McGuinness befindet sich seit Monaten, offenbar wegen einer Herzerkrankung, in ärztlicher Behandlung und gilt als amtsmüde. Seine Partei dürfte für die Wahl auf einen Brexit-Bonus hoffen. Anders als die DUP unterstützte SF den EU-Verbleib, für den sich im Juni 56 Prozent der Nordiren aussprachen. Seither warnen Politiker beiderseits der irischen See immer eindringlicher vor den Brexit-Folgen für die bisher extrem enge wirtschaftliche und soziale Verflechtung zwischen dem Süden und dem Norden Irlands. (Sebastian Borger, 10.1.2017)