Die Licht- und Interieurdesignerin Megumi Ito (Jg. 1971) bestückt Hotels, Restaurants, Büros und Wohnungen mit ihren Leuchtobjekten.

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Bekannt wurde Megumi Ito mit ihren Leuchten aus alten Kimonostoffen.

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Was können Österreicher von Japanern lernen? Warum begegnen Japaner Alltagsobjekten mit mehr Wertschätzung? Wie anstrengend ist die japanische Höflichkeit? Dies und noch mehr fragten wir die Designerin Megumi Ito, die seit 25 Jahren in Wien lebt, anlässlich eines Japanschwerpunktes im RONDO.

STANDARD: Wenn Ihre letzte Mahlzeit, also sozusagen Ihre Henkersmahlzeit, eine japanische sein sollte – was würden Sie bestellen?

Megumi Ito: Eine schön geformte Schale, gefüllt mit Reis und Umeboshi, das sind in Salz eingelegte Früchte ähnlich der Pflaume, dazu grünen Tee und schwarzen Pfeffer.

STANDARD: Und wenn das letzte Mahl eine österreichische Speise sein sollte?

Ito: Gansl mit Rotkraut, Kartoffeln, Preiselbeeren und irgendein Dessert mit Mohn – auch wunderbar.

STANDARD: Wie ehrlich ist die berühmte japanische Höflichkeit?

Ito: Meistens ist sie ehrlich, sie ist aber auch anstrengend. Es gibt im Japanischen verschiedene Arten, Wiederholungen und Stufen der Höflichkeit zwischen Begrüßung, Konversation und Verabschiedung. Das ist in Österreich viel unkomplizierter. Hier sagt man, "Danke und auf Wiedersehen", das war's. Wir sind sensibler.

STANDARD: Woher stammt diese Höflichkeit?

Ito: Ich glaube, das hat mit der hohen Bevölkerungsdichte zu tun. Menschen haben durch sie gelernt, sensibler und höflicher zu sein, Takt zu entwickeln. Es hat auch mit Religion zu tun, mit dem Shintoismus.

STANDARD: Die katholische Kirche ist also unsensibler und härter als der Shintoismus?

Ito: Nicht härter, anders. Wir haben unglaublich viele Götter, vergöttern die Natur. Es gibt Götter an jeder Ecke: die Luft, das Wasser, die Erde. Deshalb müssen wir im Alltag besser aufpassen. Und was dazukommt: Wir müssen nicht einen Gott mit vielen teilen. Das macht uns ebenfalls sensibler.

STANDARD: Was fehlt Ihnen am meisten an Japan?

Ito: Viele regionale und saisonale Arten von Gemüse, Obst und Pilzen. Vor allem gehen mir die vielen Bittergemüse ab. Hierzulande ist der Spargel schon ein Highlight. Und natürlich vermisse ich auch die warme, offene Art der Menschen.

STANDARD: Was vermissen Sie am wenigsten?

Ito: Die Hektik, den Umstand, dass sich die Leute wenig Zeit nehmen. In Japan wird man ständig mit Informationen bombardiert. Das beginnt schon mit den Schildern auf der Straße. Die Supermärkte sind rund um die Uhr geöffnet. Man kommt einfach nicht zur Ruhe.

STANDARD: Das heißt, an Österreich schätzen Sie, dass es gemütlicher zugeht?

Ito: Ja, ich mag die Gelassenheit, die Großzügigkeit und die Flexibilität. Ich denke, das liegt an der Geschichte des Landes.

STANDARD: Das müssen Sie jetzt aber bitte erklären.

Ito: Es liegt daran, dass Österreich einst so ein unglaublich großes und mächtiges Land war. Da ist noch immer ein Stück weit diese K.-u.-k.-Mentalität zu spüren. Durch sie lehnen sich die Menschen weiter zurück als andere.

STANDARD: Was geht Ihnen hierzulande auf die Nerven?

Ito: Die unsensible Art, mit Gegenständen umzugehen. Ein Beispiel: Wir stellen eine Tasse Tee behutsam mit zwei Händen auf den Tisch. Der Österreicher knallt sie wie einen Bierkrug auf den Tisch, um es etwas übertrieben auszudrücken. Das hat mich schon in meiner Anfangszeit hier sehr verwundert. Wir haben mehr Respekt gegenüber Objekten.

STANDARD: Auch Verpackung hat in Japan einen viel höheren Stellenwert als in Europa. Warum?

Ito: Wir haben eine sehr alte Papierkultur. Auch wenn wir nur eine winzige Kleinigkeit verschenken, verpacken wir sie liebevoll, und seien es nur ein paar Karotten aus dem Garten, die wir dem Nachbarn rüberbringen. Es handelt sich um eine Wertschätzung gegenüber dem Beschenkten, aber auch gegenüber dem Objekt.

STANDARD: Was kann ein Japaner von einem Österreicher lernen?

Ito: Individualität, Flexibilität und schnelle Entscheidungen zu treffen. Wir sind oft viel zu umsichtig. Weiters nützen die Österreicher ihre Freizeit besser. Viele gehen um 17.00 Uhr aus dem Büro, treiben Sport oder sitzen einfach am Wasser. Die Japaner sind den ganzen Sonntag müde von den Anstrengungen der Woche. Viele Japaner arbeiten von acht oder neun Uhr morgens bis neun oder zehn am Abend.

STANDARD: Was kann sich ein Österreicher von einem Japaner abschauen?

Ito: Sensibilität, Genauigkeit, Esskultur und natürliche Heilungsmethoden, mit denen wir schon im Kindesalter umzugehen lernen. Ferner kann er sich abschauen, weniger Zucker zu konsumieren und sich massieren zu lassen. Ach, und noch etwas: ein Bad zu nehmen, bevor man ins Bett geht.

STANDARD: Sie leben in der Wiener Innenstadt, wo es viele japanische Touristen gibt. Was denken Sie sich, wenn Sie an einem solchen Schwarm vorbeikommen?

Ito: Ich genieße es, schleiche mich an, lausche und freu mich, weil ich alles verstehen kann und heraushöre, woher sie stammen.

STANDARD: Sie haben in Wien seinerzeit begonnen, Lampenschirme aus Kimonostoffen zu designen. Wie haben Ihre Landsleute auf diese Arbeiten reagiert? Ist das nicht ehrenrührig?

Ito: Gar nicht. Ein Kimono besteht aus einem Teil Stoff und wird nicht aus verschiedenen zusammengenäht. Wenn ein Kimono nicht mehr als solcher verwendet wird, macht man verschiedene Dinge daraus: Untersetzer, Tischtücher etc. Das ist in Japan eine Form der Nachhaltigkeit, die es schon sehr lang gibt.

STANDARD: Sie sind vor allem für Ihre Lichtobjekte bekannt. Japan wird auch "Land der aufgehenden Sonne genannt". Haben Ihre Landsleute ein anderes Verhältnis zum Licht?

Ito: Ja, ich habe das Gefühl, dass wir das Licht der Dämmerung mehr genießen, als dies Europäer tun. Die Lichtfarben dieser Stunden haben es uns angetan, und wir sehen sie als Belohnung für den Stress des Alltags. Es gibt in Japan keine Sommerzeitumstellung, also weniger Abendlicht.

STANDARD: Möchten Sie in Wien bleiben oder eines Tages wieder nach Japan zurückkehren?

Ito: Ich würde gern noch eine Zeitlang in Paris leben. Nach Japan gehe ich dann im Alter zurück.

STANDARD: Soll Ihr letztes Stündlein also in Japan schlagen?

Ito: Ja, im wunderschönen Kamakura, woher ich stamme. Dort gibt es viele Tempel und Schreine – und das Meer. (Michael Hausenblas, RONDO, 28.1.2017)

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