Kurt Welzl (62) im Jänner 2017: "Das Glas ist immer halb voll."

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So wurde Kurt Welzl anno 1982 eingeklebt.

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13. Juni 1979: Kurt Welzl düpiert Goalie Peter Shilton und Mick Mills, Österreich schlägt im Praterstadion England mit 4:3.

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Das legendäre Spiel im Video.

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Innsbruck/Wien – Kurt Welzl genießt den Ausblick. "Der liebe Gott hat immer auf mich runtergeschaut." Jetzt schaut der 62-Jährige rauf, aber auf den Gletscher. Von der Terrasse seines Hauses in Bruck, dieses liegt nicht an Mur oder Leitha, sondern im Zillertal, hat er freie Sicht auf die Berge, auf das ewige Eis. "Eine Lebensqualität für einen Pensionisten." Seine Geburtsstadt Wien vermisst er kaum, Welzl spricht einen leicht ausbaufähigen Tiroler Dialekt. Manche Sätze klingen aber bereits so, als hätte sich ein Speckknödel im Rachen einquartiert. "Man passt sich automatisch an", sagt Welzl. "Bischt a Tiroler, bischt a Mensch" ist freilich eine Behauptung, der er wenig abgewinnen kann: "Eine Übertreibung."

Kurt Welzl war ein außergewöhnlicher Fußballer. Ohne Übertreibung. Ein Mittelstürmer, wie er in keinem Büchel steht. "Im Laufe der Zeit bin ich draufgekommen, dass mir der liebe Gott Talent in die Wiege gelegt hat. Ja, ich war privilegiert und bin dankbar dafür." Aufgewachsen ist er in Hernals, im 17. Wiener Gemeindebezirk. Die Zeillergasse kennt man auch im benachbarten Ottakring, jedenfalls lag der Sportclubplatz ganz in der Nähe. Und liegt immer noch. Mutter Welzl arbeitete bei der Post, der Vater hat sich von der Familie ziemlich spontan und auf Nimmerwiedersehen verabschiedet. Kurt und seine beiden Brüder vermissten trotzdem nichts.

Gefühl in den Beinen

Die Mama war eine Heilige, sie hat sogar die Leidenschaft der Söhne (im Käfig kicken bis zum Umfallen) akzeptiert. "Meine Kindheit war sehr behütet." Und der Sportclubplatz war eben ums Eck. 1972 debütierte Welzl in der Kampfmannschaft der Dornbacher, Trainer war Pepi Argauer. "Mein Vorbild ist immer der Erich Hof gewesen. Wie der ein Spiel gelesen hat, war beeindruckend. Und sein Gefühl in den Beinen und die Schusstechnik waren ein Wahnsinn."

Kurt Welzl hat Fußball gespielt, nicht gekämpft. Er liebte es, zu dribbeln, die Gegner auszutricksen. Die Freude nach einem gelungenen Haken war nicht geringer als jene nach einem erfolgreichen Torabschluss. "Der Hans Krankl war der geborene Goalgetter, mir war das ein bisserl zu wenig." Da die damaligen Zeiten irgendwie lustiger waren, wurde beim Sportclub gewettet, wer in einem Spiel dem Gegner am öftesten den Ball durch die Beine schieben kann. Welzl deklassierte seine Kollegen, gegen Eisenstadt schaffte er es 32-mal. Und der "Gurkenkönig" ward geboren. Ein Titel für die Ewigkeit, wie Hofrat oder Professor. Dem Welzl Kurt und seinem Schnauzbart (er trägt ihn bis heute) wurde jedenfalls eine Weltkarriere prophezeit. "Es lag an mir, ob ich beim Heurigen oder in der Staatsoper auftrete." Es sollte schlussendlich dazwischen liegen, näher an der Staatsoper.

Für den Sportclub erzielte er in 52 Partien 16 Tore, 1974 wechselte er nach Innsbruck, wurde zweimal Meister und zweimal Cupsieger (133 Einsätze, 54 Treffer). Die Profis waren damals fast Leibeigene der Vereine, den Sprung ins Ausland schafften nur ganz wenige, es gab eine Legionärsbeschränkung, multikulti spielte es nicht. Welzl war einer der Auserwählten, 1978 wurde er von Alkmaar verpflichtet. Der niederländische Fußball zählte zu den Allerbesten in Europa, 1981 gewann Welzl das Double, wurde Zweiter in der Schützenliste. "Eine wunderbare Zeit." Es folgte eine Steigerung, der Transfer nach Valencia. "Spanien ist das Paradies."

Zwei Tore gegen England

Die Karriere im Nationalteam war dagegen eher durchwachsen, Welzl bestritt zwischen 1975 und 1982 nur 22 Länderspiele (zehn Tore). An der WM 1978 (Córdoba!) durfte er nicht teilhaben, Teamchef Helmut Senekowitsch nahm Hans Pirkner als zusätzlichen Stürmer mit nach Argentinien. "Wahrscheinlich deshalb, weil der Pirkner besser Karten gespielt hat." Krankl und Walter Schachner waren gesetzt. Am 13. Juni 1979 wurde Welzl ein bisserl versöhnt, beim 4:3 gegen England schoss er im Praterstadion zwei Tore.

Auf Valencia folgten Gent und Olympiakos Piräus, 1985 kehrte er zurück nach Innsbruck, die Karriere lief aus. Welzl ist mit dem Erreichten zufrieden. "Ich bin ein positiver Mensch, bei mir ist das Glas halb voll." Vielleicht sei er zehn Jahre zu früh geboren worden. "Nach Bosman hat sich alles geändert. Trotzdem haben der Hans Krankl in Barcelona, der Herbert Prohaska bei Inter und Roma und auch ich Duftmarken gesetzt." Privat hat nicht alles geklappt, die erste Scheidung war ein Rosenkrieg, Welzl fühlte sich ausgenommen wie ein Truthahn. "Die beiden gemeinsamen Kinder sind aber super."

Wattens und London

Seit rund 20 Jahren ist er mit seiner zweiten Frau Andrea zusammen, die Tochter ist 20, studiert in Innsbruck Pharmazie. Der Papa steht unter der Woche um sechs Uhr auf, chauffiert sie zum Bahnhof nach Jenbach. Die Welzls besitzen in Wattens ein Modegeschäft, der Laden hört auf "Piccadilly", das ist die einzige Gemeinsamkeit von Wattens und London.

Spitzensport hinterlässt Spuren. Welzl ist an beiden Schultern bedient, schuld daran ist aber nicht der Fußball. Die eine hat er sich beim Eishockeyspielen gebrochen, die andere fällt in die Rubrik Haushaltsunfall. "Beim Montieren einer Lampe ist der Sessel unter mir zusammengebrochen." Hin und wieder besucht er das Tivoli-Stadion, Gurkenkönig Welzl gehört dem Legendenklub an. Wacker Innsbruck ist seit einer gefühlten Ewigkeit vom legendären Fußball weiter entfernt als der Gletscher von der Zeilergasse. "Mir geht es gut", sagt Welzl – und schaut rauf auf das ewige Eis. (Christian Hackl, 16.1.2017)