Tobias Moretti und Violetta Schurawlow müssen in "Die Hölle" zwar so manches Vorurteil überwinden, doch bei der Suche nach dem Frauenmörder machen der Kommissar und die Taxlerin gemeinsam reinen Tisch.

Foto: Allegro-Film

Wien – Ottakring mag sich schon einen gewissen Ruf als härtestes Pflaster zwischen Rudolfsheim-Fünfhaus und Hernals erarbeitet haben. Was in Stefan Ruzowitzkys Die Hölle einer Prostituierten widerfährt, ist allerdings selbst für den 16. Wiener Gemeindebezirk recht krass. Sie wird das jüngste Opfer eines international tätigen Serienmörders, der bevorzugt mit langen Messern und Heizplatten operiert. Als die vom Alltag abgehärtete Taxifahrerin Özge (Violetta Schurawlow) das Verbrechen zufällig entdeckt, wird ihr Leben somit noch ein Eck unangenehmer – hat der Killer sie doch ebenfalls gesehen. Und weil sich die Polizei nicht von ihrer kompetentesten Seite zeigt, wird die Sache schnell persönlich.

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Nach den alpinen Genrefilmen In drei Tagen bist du tot (Horror) und Das finstere Tal (Western) soll Die Hölle – als weitere Koproduktion von Helmut Grassers Allegro-Film – nun den Thriller ins Hiesige übertragen. Fazit vorab: Die Übung ist gelungen, denn Ruzowitzky hat mit allerhand Kämpfen und Verfolgungsjagden mitreißend inszeniert und die Hauptstadt konsequent ins Bild gerückt. Dabei präsentiert sich der wilde Westen Wiens als infernalisches Plätzchen: Das Wetter ist bescheiden, zudem scheint es ständig Nacht zu sein.

Mensch mit Marke

Wer sich auf diesen Straßen länger sehen lässt, der ist entweder obdachlos oder auf der Suche nach Ärger. Um Ersteres zu vermeiden, besucht Özge neben ihrem Taxistand auch eine Abendschule, um Letzteres abzuwehren, feilt sie an ihren Kenntnissen im Thaiboxen. Nach dem Überschreiten einer gewissen Frustrationsgrenze lässt sie somit schon einmal Knie und Ellbogen sprechen.

Mit der zweiten Filmhälfte verschiebt sich die Handlung in die Innere Stadt, wo sich die Lage nicht nur meteorologisch, sondernd auch zwischenmenschlich bessert. Denn nach einigem Hin und Her findet Özge beim ermittelnden Kommissar Christian Steiner (Tobias Moretti) Unterschlupf. Dieser hat zunächst zwar seine berufsbedingten Vorurteile gegenüber der jungen Frau mit türkischen Wurzeln (Aufenthaltsgenehmigung? Drogen? Prostitution?), sieht dann aber doch ihre Not und Attraktivität. Özge wiederum erkennt den Menschen hinter der Polizeimarke, als sie Steiner dabei beobachtet, wie er seinem demenzkranken Vater (Friedrich von Thun) den Hintern auswischt.

Lektion fürs Leben

Überhaupt ist der Umgang mit der Elterngeneration in Martin Ambroschs Drehbuch ein wesentliches Mittel zur Beschreibung der Figuren, ihrer Herkunft und Lebensrealität. Auch Özges Vater ist krank, trotz seines körperlichen Verfalls aber noch immer ein allseits gefürchteter Patriarch, der sich nicht zu blöd ist, gegen seine Tochter die Hand zu erheben. "Kinderficker!", zischt diese ihm entgegen, und man merkt, dass es für die Hölle nicht unbedingt einen messerschwingenden Psychopathen braucht.

Wie anders sieht es in der riesigen Altbauwohnung der Steiners aus, wo die klassische Musik vom Vinyl oder gleich aus dem Piano kommt, sich in der Bibliothek neben den Werken Roberts Musils auch ein Koran findet und der Zustand des Vaters der humoristischen Auflockerung dienen kann.

Mit dem Taxiunternehmer Samir (Robert Palfrader) wird zwar noch der Haushalt eines Migranten gezeigt, der "es geschafft hat", dessen Darstellung rückt jedoch weit in den Hintergrund. Als der Frauenmörder schließlich als religiöser Irrer identifiziert wird, der die Glaubenslehre allzu extrem auslegt, bekommt Die Hölle jedoch einen Spin, der so nicht unbedingt nötig gewesen wäre.

Die Spoilergefahr ist übrigens äußerst gering, begnügt sich der Film doch damit, die Genreregeln möglichst genau zu befolgen, statt diese neu zu schreiben. Was Die Hölle aus der Thrillermasse jedoch herausstechen lässt, ist eine bei aller Schweigsamkeit charismatische Heldin, die sich mit ihrem Widersacher in der Wiener U-Bahn fetzt. Nicht das Finden des Mörders steht im Fokus, vielmehr ist es die Action alter Schule, die Ruzowitzky im Kampfring wie am Schwedenplatz mit ausreichend Wumms souverän in Szene setzt. Die Lektion, die es dabei für das Leben zu lernen gilt: Leg dich nicht mit der Taxlerin an. (Dorian Waller, 17.1.2017)