Wenn sie in den Matsch fallen beim Fußballtraining, wenn sie mit Kreide die Straße beschmieren, wenn sie fremden Hunden nachlaufen beim Nachmittagsspaziergang: Wir sind dabei.

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Gestern habe ich einen Anruf bekommen. Mir wurde ein wirklich unglaubliches Jobangebot gemacht. Eines, das ich ohne Kinder sofort und ohne Zögern angenommen hätte. Weil es mich inhaltlich interessiert, weil die Bezahlung stimmt, weil ich mit spannenden Menschen zusammenarbeiten könnte. Natürlich habe ich nein gesagt. Und das hat wehgetan. Natürlich. Das Nein kam mir trotzdem leicht über die Lippen. Nicht, weil ich nicht ehrgeizig wäre, nicht, weil ich nicht fleißig wäre. Auch nicht, weil ich es mir nicht zugetraut hätte. Nein, alles hätte gestimmt. Bis auf eine wichtige Sache. Ich bin Mutter von mehreren Kindern. Und mein kleinstes Kind ist noch im Kindergarten.

Wie viel Zeit ist genug Zeit?

Ich bin keine dieser Mütter, die jeden Tag rund um die Uhr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchte. Keine, die außerhäusliche Kinderbetreuung verteufelt oder sich zwanghaft nur mit dem Nachwuchs beschäftigen kann. Nein, ich gehe arbeiten, ich habe sogar Zeit für mich, und ich versuche, meinen Kindern die Zeit zu geben, die sie von mir brauchen. Die älteren brauchen immer weniger, die kleineren mehr.

Und genau diese Zeit, die ist es, die ich mit diesem wunderbaren, faszinierenden, interessanten Job nicht gehabt hätte. Obwohl es im Gespräch geheißen hat: Es wäre eh nur von 8.30 Uhr bis maximal 18.30 Uhr. Vielleicht ein-, zweimal die Woche ein Abendtermin. Kein Wochenenddienst. Ich rechnete insgeheim mit: Dann bin ich frühestens um 19 Uhr zu Hause. Und dann? Habe ich vielleicht noch Zeit, mit meinen Kindern zu Abend zu essen, ihnen die Zähne zu putzen und eine Geschichte vorzulesen.

Ich möchte da sein

Ich wäre nicht dabei, wenn sich mein Sohn beim Fußballtraining im Matsch nach dem Ball wirft. Ich wäre nicht dabei, wenn meine Tochter Lesen übt. Ich wäre nicht dabei, wenn die Großen aus der Schule kommen und mir erzählen, wie ihr Tag war. Ich will mit ihnen allen sein, wenn und solange sie das von mir brauchen. So fühlt es sich für uns richtig an. Das gilt auch vielleicht nur für uns, andere sehen das ganz anders.

Auch das ist richtig, weil nicht alle Kinder und auch nicht alle Eltern gleich sind. Und nicht alle dieselben Voraussetzungen haben. Wir sind in der glücklichen Lage, uns unsere Arbeitszeit relativ gut einteilen zu können. Leute im Schichtdienst oder im Handel können das nicht.

Bin ich zu alt für eine neue Chance?

Ich schlage das Jobangebot also aus. Ich denke mir: Kommt so eine Chance wieder, wenn ich dann Zeit habe – so in zehn Jahren? Oder bin ich dann schon zu alt für solche Chancen? Wenn ich jetzt nein sage, spricht sich das herum und fragt mich dann niemand mehr, weil ich eh immer absage? Ich habe ein schlechtes Gewissen meiner Selbstverwirklichung gegenüber. Und denke gleichzeitig: Was ist das überhaupt – Selbstverwirklichung? Wie erreiche ich sie? Für mich persönlich fühlt sich dieses schlechte Gewissen aber immer noch besser an als das schlechte Gewissen gegenüber meinen Kindern.

Wir strudeln uns weiter ab, mein Mann und ich. Mit unseren beiden 35-Stunden-Jobs, mit den Zeitplänen. Aber wir sind dabei. Nicht immer, aber oft. Wenn sie in den Matsch fallen beim Fußballtraining, wenn sie mit Kreide die Straße beschmieren, wenn sie fremden Hunden nachlaufen beim Nachmittagsspaziergang. Wir sind dabei. Und das ist für uns gut so. (Sanna Weisz, 22.1.2017)