So entspannt lassen nicht alle Kinder das Zähneputzen über sich ergehen.

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Die Wiener Zahnährztin DDr. Karin Assadian hat sich auf die Behandlung von Kindern spezialisiert. Sie sagt: "Kein Kind wird durch Zähneputzen psychisch geschädigt."

Ich beuge mich über das auf dem Wickeltisch liegende Kind. Blitzschnell fixiere ich seine Arme und Beine mit dem Oberkörper. Der Überraschungsmoment will genutzt sein. Doch das Kind liegt längst nicht mehr. Es bäumt sich auf. Es windet sich. Tritt um sich, schreit und zürnt. Es ist keine zwei Jahre alt und stark wie ein Bär. Ich fühle mich in diesem Augenblick, als wäre ich 100 Jahre alt und hätte 1000 davon nicht geschlafen.

Während ich versuche, mit der Zahnbürste die Kiefersperre des Kindes zu durchbrechen, beginne ich hysterisch-beschwichtigend ein Kinderlied zu singen. Kariesmonster spielen darin eine zentrale Rolle. Ich singe es für mich selbst, das Kind hört vor lauter Brüllen nichts mehr. Das Lied dauert genau drei Minuten, ich habe es unzählige Male gesungen. Drei Minuten dauert auch das Zähneputzen beim Kind idealerweise – glaube ich. Es sind sehr lange drei Minuten. Zwei Minuten sind auch gut.

Kein Schaden

"Kein Kind wird durch Zähneputzen psychisch geschädigt", sagt die Wiener Zahnärztin Karin Assadian, die sich auf die Behandlung von Kindern spezialisiert hat. Das ist beruhigend. Das Bekenntnis zu gewaltfreier Erziehung und der Ringkampf bei der Mundhygiene – sie könnten vereinbar sein. Assadian schickt noch einen entlastenden Gedanken hinterher: Wer seinem Kind das Zähneputzen "erspart" und dieses nach dem Motto "Einmal ist keinmal" immer wieder einmal ausfallen lässt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dem Nachwuchs später Scherereien beim Zahnarzt einzuhandeln. Das gilt es zu vermeiden."

Für die Zahngesundheit der Kinder muss man kämpfen", sagt die Pädagogin und Erziehungsberaterin Brigitte Schrottmayer vom Eltern-Kind-Zentrum in Wien. Sie sagt auch: Die Mundhygiene soll spielerisch und niemals mit Druck und Zwang verbunden sein. Während das Kind weiterhin erbitterten Widerstand gegen Zahnbürste und beste Absichten leistet, frage ich mich: Lassen sich Druck und Zwang nicht aus echter Sorge um die Kindergesundheit irgendwie doch rechtfertigen? Ich bin zu müde für eine Antwort.

Besser wäre es, die Frage stellte sich nicht. Im Falle der Zahnpflege heißt das: Das Kind macht es freiwillig. "Da kann ein Lied, eine Sanduhr, Sticker am Spiegel oder eine Zahnbürste helfen, die sich das Kind ausgesucht hat", sagt Schrottmayer. Wichtig sei die Vorbildrolle der Altvorderen: "Die Eltern sollten möglichst oft selbst putzen, wenn das Kind dabei ist – und es nicht mit Abscheu tun."

Verhandlungssache

Assadian und Schrottmayer sind einig: Zähneputzen ist nicht verhandelbar, wenn die Kinder Zuckerhaltiges essen oder trinken. Schrottmayer empfiehlt, Kinder, die gar nicht putzen wollen, ab der Sprachfähigkeit vor die Entscheidung zu stellen: Zähneputzen oder Zucker auf null. "Dass Zucker Karies verursacht und den Zähnen schadet, kann man ihnen schon erklären." Für Assadian gibt es keine Schonzeit: "Geputzt werden muss ab dem ersten Zahn." Da ist sie kategorisch. "Sobald sich ein Zähnchen durchs Zahnfleisch schiebt, kann es durch direkte und indirekte Säureeinwirkung zerstört werden."

Sie hat unzählige Milchzähne gesehen, die, kaum dass sie das fahle Licht der Mundhöhle erblickten, schon von Karies niedergeknüppelt wurden. "Es gibt Kinder, die mit sechs Monaten Zähne bekommen, die mit einem Jahr schon zerbröselt sind." Das Problem entstehe, wenn der Zahn ständig von süßen und säurehaltigen Getränken und Speisebreien umspült wird. Wenn Kinder immer wieder Gezuckertes oder pH-Wert-Saures wie Apfelsaft trinken oder am Fläschchen "dauernuckeln", können die gerade erst durchgebrochenen Milch zähne großflächig aufweichen.

Besonders schädlich sind gezuckerte Granulat-Tees. "Die haben einen pH-Wert wie Essig und lösen die Zähne regelrecht auf." Selbst stark verdünnte Fruchtsäfte sind sauer und setzen den Zähnen zu. Wird Plaque nicht regelmäßig entfernt, verwandeln Bakterien den Zucker darin in rabiate Säure. Assadians Tipp ist simpel: Kinder sollen Wasser trinken. Vor allem in der Nacht. Leider kämen nicht alle Väter und Mütter auf diese Idee. Anders lässt sich die erstaunte Nachfrage mancher, was das Kind anstelle von Saft denn trinken solle, kaum erklären.

Wichtiges Fluorid

Nicht einig sind Zahnärztin und Pädagogin bei der Bewertung des Stillens. "Aus zahnärztlicher Sicht ist langes Stillen und Dauerstillen nicht gut", sagt Assadian. "Lange" bedeute länger als ein Jahr. Auch Muttermilch schädige den Zahn. Schrottmayer, die auch als Still beraterin arbeitet, sieht das anders: "Stillen ist sogar ein Schutz vor Karies." Denn Muttermilch enthalte das Protein Lactoferrin, das antibakteriell wirke und den Karieserreger Streptococcus mutans in Schach halte.

Wann und wie oft soll man dem Kind nun mit der Zahnbürste zu Munde rücken? "Zweimal täglich ist sehr gut", sagt die Ärztin. "Das Wichtigste ist das gründliche Putzen am Abend." Das dreiminütige Lied muss nicht unbedingt sein. "Besser, man putzt eine Minute gründlich als drei Minuten schlampig." Ob man eine normale oder eine elektrische Bürste verwende, sei unerheblich. Entscheidend sei der kleine Bürstenkopf – nur so komme man an die hinteren Backenzähne.

Zuletzt sind einige elektrische Zahnbürsten speziell für Babys auf den Markt gekommen – wie die Issa Mikro vom schwedischen Hersteller Foreo oder die Baby Sonic der Firma Brush Baby. Diese Bürsten sind wasserdicht und haben einen extra schmalen Kopf, was die Handhabung im Babymund erleichtern soll. Erlaubt ist, womit Eltern sich leichter tun, sagt Assadian. Kinderzahnpasta jedenfalls sollte bis zum ersten bleibenden Zahn einen Fluoridgehalt von 500 ppm haben, was bei handelsüblichen Produkten der Fall ist. Danach sollte auf 1450 ppm Fluorid gewechselt werden.

Die "Ersten" nicht opfern

Hartnäckig hält sich die Annahme, die Pflege der Milchzähne sei gar nicht so wichtig, weil diese lediglich "Platzhalter" seien. "Das ist absoluter Blödsinn", sagt die Medizinerin. "Einen Milchzahn darf man nicht opfern." Kinder brauchen die "Ersten" nicht nur zum Kauen, sie sind maßgeblich für die Entwicklung der Kiefer und des gesamten Gesichts. "Kranke und infizierte Milch zähne prägen das nächste Gebiss". Aggressive Bakterien im Zahnfleisch lassen gewissermaßen die Basis für die Folgezähne erodieren. Assadian empfiehlt daher, bei Kindern ab drei täglich Zahnseide zu verwenden. Kontaktpunktkaries sei schon bei den Kleinen tückisch. Eine durchwachsene Perspektive für Eltern. Zusätzlich zum Kampfgeist brauchen sie dann nämlich Fingerspitzengefühl. (red, 28.1.2017)