E-Mobilität im Güterverkehr ist ein Beispiel für Projekte der österreichischen Wirtschaft im Bereich Nachhaltigkeit. Österreich könnte hier Vorreiter in Europa werden, ist Kromp-Kolb zuversichtlich.

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STANDARD: Seit der Klimakonferenz von Paris ist mehr als ein Jahr vergangen. Eigentlich müssten jetzt die Weichen gestellt werden, um die Vorgaben zu erreichen. Ist davon in Österreich etwas zu erkennen?

Helga Kromp-Kolb: Der Plan A von Bundeskanzler Christian Kern enthält zum ersten Mal seit Jahren eine große Initiative mit Klimarelevanz. Er beinhaltet zum Beispiel den Willen zum Ausbau der erneuerbaren Energien und der E-Mobilität. In den letzten Jahren ist auf bundespolitischer Ebene wenig weitergegangen im Bereich Klimaschutz.

STANDARD: Welche Dynamiken bremsen die Klimaschutzmaßnahmen der Regierung?

Kromp-Kolb: Es geht ja nicht nur beim Klimaschutz nichts weiter. So wertvoll etwa die Sozialpartnerschaft bei der Diskussion um Kapital und Arbeit ist und so wichtig sie nach dem Krieg war, so einschränkend ist sie für Entwicklungen im Bereich Bildung und Klima. Es ist verständlich: Wenn es bei Urlaub oder Geld Diskrepanzen gibt, sind beide Seiten an einer Lösung interessiert. Bei Bildung und Klimaschutz geht das Leben auch ohne Lösung weiter.

STANDARD: Sind Initiativen abseits der Regierung gefragt?

Kromp-Kolb: Auf Gemeindeebene tut sich viel. Hervorzuheben sind auch die Klima- und Energiemodellregionen des Energiefonds. Aber auch Firmen wie Sonnentor, Guggler, Waldviertler, Schachinger oder innovative Unternehmen im Bereich Photovoltaik bringen viel weiter. Das ist oft gar nicht so sichtbar, wirkt aber teilweise systemverändernd. Bei den Biobauern liegen wir weltweit im Spitzenfeld. Und zahlreiche an sich "konventionelle" Firmen wie Hofer oder dm setzen klare Zeichen.

STANDARD: Ein Instrument für Umweltschutz sind die nachhaltigen Ziele der UN für eine gerechtere Welt, die Sustainable Development Goals (SDGs). Warum sind die SDGs in Österreich kaum ein Thema?

Kromp-Kolb: Leider kennt in Österreich kaum jemand die SDGs. In vielen Ländern sind sie hingegen schon selbstverständlicher Teil der Gesetzgebung und öffentlicher Debatten. In Namibia wird etwa ein eigener Lehrgang für Universitätslehrer zu dem Thema entwickelt. Das ist in Österreich noch undenkbar. Auch in Skandinavien und zum Teil in Deutschland sind sie wichtiger Bestandteil der politischen Diskussion. Mangels politischer Wahrnehmung wären vor allem die Medien in Österreich gefragt, diese Inhalte zu vermitteln.

STANDARD: Was ist das Besondere an den SDGs? Welche Chance bieten sie?

Kromp-Kolb: Sie enthalten soziale und ökologische Ziele für alle, auch die Industriestaaten. Es geht nicht mehr nur darum, Geld und Know-how in ärmere Länder zu transportieren. Sie böten eine hervorragende Chance, die Bevölkerung für ein gemeinsames Ziel zu gewinnen, etwa beim Wiederaufbau.

STANDARD: Die konsequente Umsetzung der 17 SDGs würde eine Umwälzung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems erfordern. Vertragen sich ein Wirtschaftssystem des unbegrenzten Wachstums und Nachhaltigkeit überhaupt?

Kromp-Kolb: Unbegrenztes Wachstum ist aus ökologischen Gründen nicht möglich, deswegen wird es Änderungen in der Ausrichtung des Wirtschaftssystems geben müssen. Diese als Firma schon teilweise vorwegzunehmen kann kurzfristig von Nachteil sein, aber längerfristig ist die Umstellung eine Notwendigkeit. Wir verschlafen hier wichtige Entwicklungen und stehen uns selbst im Weg.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel nennen?

Kromp-Kolb: Aktuell fallen mir die ganzjährigen Schanigärten ein. Das ist vielleicht nur ein kleines Beispiel, aber symptomatisch für kurzfristiges Denken. Die Wirtschaftskammer macht Werbung dafür, also für Heizen im Freien im Winter. Die Wirte schaffen sich Heizschwammerln an, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber es ist absehbar, dass in Brüssel ein Verbot beschlossen wird. Dann müssen die falschen Investitionen den Wirten wieder abgegolten werden. Das Schlagwort "Leistbares Wohnen", das sich in "Leistbares Bauen und nicht mehr leistbares Wohnen" übersetzt, wäre ein anderes.

STANDARD: Manche Unternehmen implementieren die SDGs freiwillig. Sie sind zum Beispiel Teil eines Beirats bei Hofer. Gehen Nachhaltigkeit und Diskonter zusammen?

Kromp-Kolb: Ja, Hofer ist ein Diskonter. Aber über sie erreicht man Menschen, die sonst in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen schwer zugänglich sind. Als Beirat treffen wir uns etwa viermal im Jahr und diskutieren über bereits Erreichtes und künftige Projekte und Ziele. Da geht es lebhaft zu, wir sind sicher keine bequeme Abnickgruppe. Ich engagiere mich, weil ich einen Unterschied zwischen Greenwashing und ehrlichem Bemühen mit wirklichem Eingreifen ins eigene Geschäft erkenne.

STANDARD: Wo liegt der Unterschied?

Kromp-Kolb: Es nennen sich etwa viele Unternehmen CO2-neutral. Es ist aber ein Unterschied, ob man sich, um CO2-Emissionen zu kompensieren, billige CO2-Zertifikate kauft oder Projekte finanziert, die wirklich zusätzlich CO2 speichern und darüber hinaus rundum nachhaltig sind. Vielleicht bräuchte es eine Kennzeichnung, eine Art Pickerl, ob es sich um echte Reduktion handelt oder um formalen Zertifikatehandel.

STANDARD: Hat sich Ihre Perspektive durch den Einblick in die Privatwirtschaft verändert, was nachhaltige Ziele anbelangt?

Kromp-Kolb: Ich sehe im Hofer-Beirat immer wieder, wie schwierig es sein kann, das umzusetzen, was Wissenschaft und NGOs fordern, aber es ist schrittweise machbar. Ein Beispiel ist faire Bekleidung. Es ist sehr aufwendig, die gesamte Wertschöpfungskette zu kontrollieren. Es geht aber auch innerbetrieblich um die Stützung der Nachhaltigkeitsbestrebungen.

STANDARD: Wo können Sie in anderen Bereichen der Wirtschaft positive Entwicklungen erkennen?

Kromp-Kolb: Bei der E-Mobilität im Güterverkehr arbeiten unterschiedliche Firmen am Erreichen eines gemeinsamen Ziels zusammen – auch hier unter anderem Hofer. Der Council für nachhaltige Logistik hat den Sitz an der Boku. Ich bin zuversichtlich, dass Österreich damit Vorreiter in Europa werden kann.

STANDARD: Was halten Sie von Vorschlägen wie einer Offenlegung von Bilanzen zu sozialen und ökologischen Fragen bei Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern? Würde Transparenz Anreize schaffen?

Kromp-Kolb: Ich befürworte alles, was Transparenz schafft. Nachhaltigkeitsberichte sehe ich aber in erster Linie als Werkzeug, eigene Stärken und Schwächen auszuloten. Sie dürfen nicht zu PR-Jubelbroschüren verkommen.

STANDARD: Es gibt auch Kritik an den SDGs. Definierte Ziele für Nachhaltigkeit seien zu bevormundend und technokratisch. Können Sie der Kritik etwas abgewinnen?

Kromp-Kolb: Die Gefahr sehe ich nicht, und im Übrigen sind die einzelnen Indikatoren ja noch nicht ausdiskutiert. Ich sehe eher eine Schwäche darin, dass sie getrennt erstellt wurden, aber vernetzt gedacht werden müssen. Denn sonst haben wir das Dilemma, vor dem Sozial- und Umwelt-NGOs in der Vergangenheit immer wieder gestanden sind, die sich teilweise mit ihren Zielen gegenseitig im Weg stehen. Es ist wichtig sich gegenseitig mitzudenken, um bessere Ergebnisse zu finden. (Julia Schilly, 19.1.2017)