Der britische Künstler Banksy gilt als Superstar der Street-Art. Bekannt wurde er mit politsatirischen Schablonenbildern (Stencils) und Aktionen, u.a. hängte er ironische Gemälde ungefragt in öffentlichen Museen auf. Hier: "Flower Riot" aus Wien mit Graffiti-Tag.

Foto: Sebastian Pohl

Am 4. Dezember 2016 gaben 46 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme einem Mann, der eine andere Art von Demokratie für Österreich im Sinn hat (und hatte) und einige Male durchblicken ließ, was er sich darunter vorstellt. Am kenntlichsten in jener TV-Diskussion, in der es um eine mögliche autoritäre Neudefinition der Rolle des Bundespräsidenten ging und er sich zu der Drohung "Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist" hinreißen ließ.

Der Punkt ist aber: Recht viele Bürgerinnen und Bürger können sich sehr wohl eine andere Art von Demokratie vorstellen. Sozusagen autoritäre Verhältnisse innerhalb einer formalen Demokratie. So ähnlich wie Norbert Hofer.

Im Oktober 2015 stellte das renommierte Sora-Institut rund 1000 Personen die Frage, ob sie folgender Aussage zustimmen: "Man sollte einen starken Führer haben, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss." Ergebnis: 39 Prozent (13 Prozent stimmen "sehr" und 26 Prozent "ziemlich" zu).

Wunsch nach einem "starken Mann"

Der Wahlforscher Christian Hofinger von Sora stellte daher eine "massive Zunahme des antidemokratischen Autoritarismus" fest. Dieser Schluss ist aus der Zeitreihe von Sora zu ziehen: Im August 2007 waren nur zehn Prozent für einen starken Führer, im November 2009 20 Prozent, im September 2014 29 Prozent und im Oktober 2015 (Höhepunkt der Flüchtlingswelle) eben 39 Prozent.

Der Politologe Peter Filzmaier fasste das in die Schlagzeile "Starker Mann knapp vor der Mehrheit" zusammen (eine STANDARD-Umfrage des Market-Instituts in etwas anderem Kontext kommt zu weit weniger alarmierenden Ergebnissen).

Vor allem aber muss man die "starker Mann"-Ergebnisse in Beziehung setzen zur Aussage in derselben Sora-Umfrage, wonach volle 85 Prozent der Meinung waren, die Demokratie sei die "beste Regierungsform". Einerseits eine riesige Mehrheit für die Demokratie als beste Regierungsform und andererseits ein starker Wunsch nach einem "starken Mann"? Wie geht das zusammen?

Das passt, wenn man, wie Christoph Hofinger, vermutet, dass sich diese Einstellung wieder beruhigen wird, wenn die Regierung wirklich regiert.

Das passt aber auch, wenn man sich eingesteht, dass sich ziemlich viele Menschen eine Gleichzeitigkeit von "Demokratie mit einem starken Mann" sehr gut vorstellen können.

Das passt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es das Gegensatzpaar "liberale Demokratie gegen illiberale Demokratie" gibt. Und darum geht es derzeit in der westlichen Welt und ihrer Peripherie. Die liberale Demokratie ist unter Druck von illiberalen Tendenzen und Bewegungen. Im Wesentlichen ist es der extreme Rechtspopulismus, der eine andere Demokratie haben will.

Gegensätze

Unter "liberaler Demokratie" versteht man in Europa das angelsächsisch geprägte Modell, das auf Mäßigung, Öffnung, Rationalität, Toleranz und Interessenausgleich aufgebaut ist. Und auf Weltoffenheit plus Glaube an die Nützlichkeit übernationaler Lösungen wie der Europäischen Union.

Die "illiberale" Demokratie hingegen ist völkisch, nationalistisch, autoritär – und populistisch – geprägt. Sie sieht als Träger der "wahren Demokratie" nur das "wahre Volk", und sie definiert, wer dazugehört: nur die "eigenen Leut'" im umfassenden Sinn. Alle anderen sind draußen (die FPÖ will ausländische Arbeitnehmer von der Sozialversicherung ausschließen).

Populisten, so der deutsche Politologe Jan-Werner Müller, regieren, wenn sie an die Macht kommen, nach ihrer inneren Logik: "Sie und nur sie repräsentieren das wahre Volk; so etwas wie eine legitime Opposition kann es gar nicht geben."

Unnachahmlich zeichnete der polnische Außenminister von der katholisch-autoritären Regierungspartei dieses Feindbild: "Ein Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen."

Modell eines "neuen Ungarn"

Der ungarische Premierminister Viktor Orbán bezeichnete in einer programmatischen Rede die "illiberale Demokratie" ausdrücklich als sein Modell eines "neuen Ungarn". Dieses Modell schwebt allen Rechtspopulisten vor. Gewiss, es wird weiterhin Wahlen geben, aber sind die Rechtspopulisten einmal an der Macht, wird die Verfassung auf die neuen Herren zugeschnitten, die Stellen in Staat und Wirtschaft werden besetzt, und jede Kritik wird abgewürgt. In Ungarn sind jetzt die letzten Widerstandsnester dran, die ausländischen NGOs wie die des Milliardärs und Mäzens George Soros. Der hat einst noch unter dem Kommunismus demokratische Bewegungen unterstützt. Jetzt stört er.

Orbán in Ungarn, Kaczynski in Polen, Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, Beppe Grillo in Italien, Nigel Farage in Großbritannien, Frauke Petry von der AfD in Deutschland und Strache/ Hofer in Österreich bilden inzwischen eine (rechts)populistische Internationale (Grillos Cinque Stelle treten eher linkspopulistisch auf, sind aber ebenfalls autoritär). Mit Donald Trump wurde ein mutwilliger Zerstörer der bisherigen Weltordnung ins Weiße Haus gespült.

Europa ist zwischen den autoritären Typen Trump und Putin (auch Erdogan) eingeklemmt und gleichzeitig von innen durch die Rechtspopulisten bedroht. Es geht in Richtung Führerstaat: Die FPÖ will Bundespräsident und Kanzler zu einem "starken Führer" zusammenlegen, das Parlament verkleinern und mit Plebisziten den "Volkswillen" steuern. Der AfD-Politiker Björn Höcke will die Holocaust-Erinnerungskultur in Deutschland tilgen und "Deutschland Stück für Stück zurückholen". Wohin?

Das ist der Punkt, an dem es gefährlich wird. "Wenn sich die Rechtspopulisten jetzt festsetzen, bleiben die auch", sagt der deutsche Soziologe Heinz Bude: "Das ist dann europäische Normalität."

Erosion in kleinen Schritten

Eine entscheidende Frage ist daher zunächst, ob sich sozusagen im angestammten Territorium der liberalen Demokratie, im dem, was "der Westen" heißt, etwas Grundlegendes verändert hat. Gibt es die sozusagen automatische Hochschätzung der liberalen Demokratie dort noch?

Manchmal findet man doch etwas auf Twitter. Vor zwei Monaten verschickte der britische Politologe Brian Klaas (Oxford) einen Tweet mit der "erschreckendsten Statistik, von der niemand etwas weiß": Eine Studie im "Journal of Democracy" zeigt, wie in sechs klassischen westlichen liberalen Demokratien, nämlich den USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Schweden und den Niederlanden, nur noch eine Minderheit von Menschen im besten Alter es für "essenziell" hält, in einer Demokratie zu leben.

Die Generation, die in den USA im Jahr 1950 geboren wurde, glaubt immerhin noch zu 55 Prozent, dass es essenziell sei, in einer Demokratie zu leben. Von denen aber, die 1980 geboren wurden, also Mittdreißiger, glauben das nur noch 27 Prozent (wer nach 1980 geboren ist, wurde nicht befragt).

In Großbritannien hält die 1950er-Generation bei rund 70 Prozent Glaube an die Demokratie, die 1980er bei 27 Prozent. In Schweden ist die Zustimmung bei den 1950ern bei rund 80 Prozent, bei den 1980ern immerhin noch bei 57 Prozent. Die 1950 geborenen Niederländer hingegen glauben nicht mehr mehrheitlich an die absolute Notwendigkeit einer Demokratie (47 Prozent), die 1980er nur noch zu rund 30 Prozent.

Unerfüllte Versprechen

Es hat also in den "alten, etablierten Demokratien" eine Erosion der demokratischen Überzeugungen stattgefunden. Global haben zwar Demokratien seit den 70er-Jahren zugenommen, aber seit etwa zehn Jahren haben Stagnation und Rückgang eingesetzt. Die Washingtoner NGO Freedom House sagt in ihrem Report für 2016, dass in den letzten zehn Jahren 105 Länder eine Nettoverschlechterung an Freiheit aufweisen und nur 61 eine Verbesserung.

Der US-Politologe Larry Diamond schreibt im "Journal of Democracy" von einer "demokratischen Rezession" – nicht nur "durch glatte militärische oder politische Coups, sondern auch durch subtile und scheibchenweise Verringerung von demokratischen Rechten und Regeln". Hier fallen einem sofort Wladimir Putins Russland und Recep Tayyip Erdogans Türkei ein. Sie haben das Modell "illiberale Demokratie" – durchaus mit Mehrheitszustimmung – perfektioniert.

Die Ursachenforschung ist sich einig, dass die liberale Demokratie ihre alten, in Jahrzehnten eingehaltenen Versprechen nicht mehr erfüllen kann. "Demokratie und Wohlstand fallen auseinander", konstatiert die "Zeit". Seit 1945 ist es aufwärtsgegangen, seit etwa zehn Jahren nicht mehr. Die "Eliten" sind nur noch elitär.

Herumschrauben am Wahlrecht?

Dazu kommt kulturelle Verunsicherung. Auf die Gefahr hin, falsch verstanden zu werden: Die ständige Zunahme von Kopftuchfrauen in den Straßen oder die Gruppen von unbeschäftigten, frauenlosen, latent aggressiven jungen Männern in manchen Vierteln verunsichern. Solche Rückständigkeit und so viele perspektivlose junge Leute sind wir nicht mehr gewohnt.

Was tun? "Wir haben noch nie besser und freier gelebt als jetzt, aber die Menschen sind nicht zuversichtlicher", sagt der Politologe Ivan Krastev. Die Politik müsse eine "positive Zukunftserzählung" leisten. Eine bessere Wirtschafts- und Sozialpolitik ist möglich, wenn auch eher in kleinen Schritten. Autobahnen und Kraftwerke bauen bringt's nicht mehr. Eher die Förderung von selbstständigem Unternehmertum. Und vor allem die Beseitigung der skandalösen Bildungsverlotterung.

Was noch? Herumschrauben am Wahlrecht? Kanzler Christian Kern und die ÖVP wollen jetzt ein mehrheitsförderndes Wahlrecht. Die Rechtspopulisten, aber nicht nur sie, fordern den "Ausbau der direkten Demokratie". Soll heißen viel mehr Referenden und Volksbefragungen. Gegen beides gibt es gewichtige Einwände, die debattiert werden müssen. Christoph Hofinger von Sora meint: "Politische Bildung muss ein Fach werden, nicht nur ein Unterrichtsprinzip."

Mögliche Maßnahmen

Eine echte, unmittelbar notwendige und mögliche Maßnahme lautet aber: Kämpfen. Die liberalen Demokraten müssen sich organisieren, über Parteigrenzen hinweg und auch ohne Parteien. Die Lügen und Verschwörungstheorien und falschen Lösungen der Illiberalen nicht hinnehmen oder gar deren "Framings" (in Begriffe gegossenes Weltbild) übernehmen.

Der Desinformation, den Fake-News und Hate-News, deren Power die Illiberalen früher als andere erkannt haben, muss professionell begegnet werden (übrigens auch von den "Mainstream"-Medien). "Wohl zum ersten Mal seit langem müssen die Liberalen kämpfen", schrieb der "Zeit"-Autor und Aktivist für eine "Charta der digitalen Grundrechte in der EU", Heinrich Wefing. "Es geht wieder um die Freiheit selbst."

Der Präsidentschaftswahlkampf hat gezeigt: Die "Mobilisierung der Mitte" gegen den Rechtspopulismus ist möglich. Großen Anteil daran hatten viele private, kleinere Initiativen. Bei Nationalratswahlen mit verschiedenen Parteien ist eine solche Koalition aus linken, bürgerlichen und liberalen Wählern schwerer zu bilden.

Aber eine permanente Mobilisierung der halbwegs liberaldemokratisch Denkenden – über viele informelle Kanäle – ist trotzdem möglich und notwendig. Wenn die Politik zu feig und zu lahm ist, muss die Zivilgesellschaft einspringen. (Hans Rauscher, 21.1.2017)