Irmgard Kronberger rät vor allem Risikogruppen in Bezug auf venerische Krankheiten dringend dazu, sich regelmäßig untersuchen zu lassen.

Foto: Albert Bloch

STANDARD: Ein Hauptthema des diesjährigen Kongresses sind die sexuell übertragbaren Krankheiten, die auch venerische Krankheiten genannt werden. Warum hat man dieses Thema gewählt?

Kronberger: Weil diese Erkrankungen unter Patienten und nicht spezialisierten Ärzten weniger Beachtung finden. Venerische Krankheiten sind ein Spezialgebiet, das von verschiedenen Abteilungen – von der Dermatologie über die Gynäkologie bis hin zur Chirurgie – behandelt wird. Das ist insofern schwierig, weil es auch einen interdisziplinären Austausch unter den Kollegen braucht, wenn mehrere Abteilungen einen Patienten behandeln.

STANDARD: Wie kann man dem begegnen?

Kronberger: Zum Beispiel durch eine gemeinsame Ambulanz für derartige Erkrankungen. In Innsbruck gibt es etwa eine Spezialambulanz für Erkrankungen mit dem Humanen Papilloma Virus (HPV). Das ist ein Virus mit fast 200 bekannten Arten, von denen einige häufige Erkrankungen im anogenitalen Bereich auslösen können. Im Laufe des Lebens infizieren sich die meisten Menschen mit diesen Viren, man schätzt bis zu 85 Prozent. Für HPV-Erkrankungen werden in Innsbruck gemeinsame, interdisziplinäre Betreuungen bis hin zu gemeinsamen Operationen durchgeführt. Zudem wird noch heuer eine Studie an unserer Abteilung anlaufen, die sich dem Thema einer gemeinsamen Behandlungsstrategie bezüglich dieser Viruserkrankung widmet.

STANDARD: Wenn 85 Prozent der Menschen diesen Virus in sich tragen, wie hoch ist die Chance, daran zu erkranken?

Kronberger: Nur ein minimaler Anteil der Betroffenen bekommt auch Symptome wie etwa die Feigwarzen. Das sind sehr unangenehme Wucherungen im anogenitalen Bereich, die leider dazu neigen, immer wieder aufzutreten. Man kann aber auch Arten des HPV-Virus mit sich herumtragen, die nie eine Läsion verursachen. Ganz spezielle Arten des Virus können wiederum Krebs verursachen, wie zum Beispiel den Gebärmutterhalskrebs bei Frauen. Auch bei über 80 Prozent aller Analkarzinome kann HPV nachgewiesen werden, sodass es als gesichert anzunehmen ist, dass das Virus Schuld daran trägt. Weil wir aber nicht wissen, wer welche Art des Virus in sich trägt, ist es sehr wichtig, die Patienten gut zu betreuen und zu beobachten, vor allem die Risikogruppen.

STANDARD: Wer sind die Risikogruppen für solche HPV-Erkrankungen im anogenitalen Bereich?

Kronberger: Das sind zum einen immunsupprimierte Menschen, also solche mit einem geschwächten Immunsystem. Deshalb betreuen wir Transplant-Patienten und HIV-Infizierte sehr intensiv. Und es gibt noch eine weitere Risikogruppen, speziell junge Frauen und die sogenannte MSM-Gruppe. Die Abkürzung steht für "men having sex with men", also Männer, die mit Männern Sex haben. Es rührt nicht zuletzt daher, dass Männer weniger häufig zum Arzt gehen wie etwa Frauen, die gemeinhin jährlich einen Gynäkologen aufsuchen, und dass zusätzlich immer noch Barrieren betreffend MSM – trotz Conchita – bestehen. Generell werden venerische Krankheiten bei Frauen früher erkannt und häufiger behandelt. Bei Männern gibt es eine solche Vorsorge bislang nicht, wobei gerade Männer aus dieser Risikogruppe sie bräuchten.

STANDARD: Wäre es aus medizinischer Sicht wünschenswert, diese Zielgruppe zu regelmäßigen Untersuchungen anzuhalten?

Kronberger: Absolut. Doch so weit ich von den Kollegen von der Universitätsklinik für Dermatologie und den niedergelassenen Dermatologen und Chirurgen weiß, fehlt es noch am Problembewusstsein in dieser Zielgruppe.

STANDARD: Wie ist es um die Aufklärung in Bezug auf sexuell übertragbare Krankheiten im Allgemeinen bestellt?

Kronberger: Die Aufklärung der Frauen ist in dieser Hinsicht weitaus besser als die der Männer. Es gibt aber auch immer wieder Frauen, die sehr erstaunt sind, dass sie jetzt in einer coloproktologischen Ambulanz untersucht werden sollen. Es muss übrigens nicht unbedingt ein Analverkehr stattgefunden haben, um dort eine Infektion zu haben. Insgesamt besteht sicher noch großer Aufholbedarf, was die Aufklärung über Krankheiten im anogenitalen Bereich betrifft.

STANDARD: Welche anderen venerischen Erkrankungen spielen im Zusammenhang mit dem anogenitalen Bereich eine Rolle?

Kronberger: Die Syphilis hat beispielsweise in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Aber auch Infektionen wie die Gonorrhoe kommen vermehrt vor. Was diese Krankheiten gemeinsamen haben ist, dass sie bei den genannten Risikogruppen eher vorkommen.

STANDARD: Wieso sind derartige Krankheiten heute wieder am Vormarsch?

Kronberger: Ich denke, dass das Bewusstsein dafür in der Bevölkerung nicht sonderlich hoch ist, wohl aber die Ansteckungsgefahr. Dafür ist umgekehrt die Schamgrenze zu hoch, um damit zum Arzt zu gehen.

STANDARD: Was kann man aus medizinischer Sicht tun, um den Menschen die Scham zu nehmen, sich mit Leiden im Analbereich an einen Arzt zu wenden?

Kronberger: Es sollte mehr Informationsveranstaltungen geben und es sollte mehr darüber gesprochen werden, damit Patienten auch aufhorchen und sagen, das betrifft mich vielleicht und ich sollte zum Arzt gehen. Speziell für die HPV-Erkrankungen haben wir 2017 eine eigene Reihe an Informationsveranstaltungen für zuweisende Ärzte geplant, um auch das Bewusstsein unter den niedergelassenen Ärzten zu fördern.

STANDARD: Welche Symptome im Analbereich sollte man ernst nehmen?

Kronberger: Die Gonorrhoe kann beispielsweise zu heftigen Entzündungen am Enddarm führen, sodass der Patient eventuell mit der Diagnose eines Abszesses zu uns kommt und wir dann letztendlich feststellen, dass es eigentlich eine Erkrankung der Gonorrhoe ist. Das Abszess muss dann neben der richtigen medikamentösen Therapie trotzdem chirurgisch behandelt werden.

STANDARD: Und worauf ist im Fall von HPV als Betroffener zu achten?

Kronberger: Klassisch und häufiger, als die kaum auffälligen Vorläuferstufen von Krebs, ist die schon genannte Feigwarze. Die ist eigentlich gutartig, aber vor allem sozial sehr unangenehm, weil man im Intimbereich Warzen entwickelt. Diese Feigwarzen sind meist schmerzlose kleinere oder größere Wucherungen. Nur wenn es zu Verletzungen kommt, können diese auch schmerzhaft werden. Die gefährlicheren Läsionen bei HPV sind eher flach und haben fast die gleiche Farbe wie Haut oder die Schleimhaut. Daher sind sie auch schwieriger zu finden. Zum Glück sind diese Formen seltener, werden nur von bestimmten HPV-Typen ausgelöst, die wiederum vermehrt in den eingangs erwähnten Risikogruppen zu finden sind. Weshalb wir eben besonderes Augenmerk auf sie legen wollen. Im Rahmen der hiesigen HIV-Ambulanz werden etwa Patienten jährlich auf solche Läsionen hin kontrolliert.

STANDARD: Ist die Impfung im Fall von HPV als Vorsorge zu empfehlen?

Kronberger: Ja, das ist ein sehr wichtiges Thema. An der Entwicklung dieser Impfung waren übrigens auch österreichische Forscher beteiligt. In Australien hat sich bald gezeigt, dass die konsequente prophylaktische Impfung von so gut wie allen jungen Mädchen im Alter von neun bis zwölf Jahren nicht nur das Krebsrisiko senkt, sondern auch andere unangenehme Folgen der Viruserkrankung drastisch reduzieren kann. In Österreich wurde die Impfung, gegenüber anderen Ländern, zwar um einige Jahre verzögert eingesetzt, dafür wurden aber gleich beide Geschlechter in den Impfplan integriert. In Österreich liegt die Impfungsrate in den Schulen bei nur rund 50 Prozent. Dabei ist die hervorragende Verträglichkeit dieser Impfung nach millionenfacher Anwendung durch Studien bestens belegt. (Steffen Arora, 22.1.2017)