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Wien – Der Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen und das Pro-Brexit-Votum haben eine weltweite Debatte darüber ausgelöst, was die Ursache für die zunehmende Unzufriedenheit der Wähler in Industrieländern ist. Perspektivlosigkeit und Angst vor sozialem Abstieg seien der Grund für die Umbrüche, argumentiert eine Denkschule.

Die Suche nach Erklärungen hat auch Österreich erfasst, seitdem der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer nur knapp bei der Präsidentschaftswahl unterlegen ist.

Dabei erscheint aus österreichischer Sicht eine Gruppe von Wählern besonders interessant: Menschen mit Lehrabschluss. Eine Befragung des Sora-Instituts unter 1200 Wählern nach der ersten Bundespräsidentenstichwahl im Mai hat ergeben, dass 67 Prozent der Österreicher mit einer Lehre als höchster abgeschlossener Ausbildung für Hofer gestimmt hatten. Bei allen anderen Vergleichsgruppen war der FPÖ-Kandidat deutlich weniger beliebt gewesen.

Viele Anhänger der FPÖ

Aber sind Menschen mit einem Lehrabschluss unzufriedener, und wenn ja, womit? Dazu lieferte die Befragung von Sora keine Angaben. Doch zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl hat das Zentrum für Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien (PH Wien) eine Untersuchung über die politischen und persönlichen Einstellungen von Lehrlingen in Österreich durchgeführt. Die Studienautoren Georg Lauß und Stefan Schmid-Heher wollten von 700 Wiener Lehrlingen wissen, wie sie das politische System erleben, was sie von Demokratie im Allgemeinen halten und wie sie ihre beruflichen Chancen bewerten. Befragt wurden etwa angehende Köche, Kfz-Mechaniker, Tischler, Bankkaufleute und Friseure. der STANDARD erhielt Einblick in die noch unveröffentlichte Untersuchung.

Regieren ohne Wahlen

Die erste Überraschung für die Studienautoren war, dass die überwiegende Mehrheit der Lehrlinge mit ihren beruflichen Zukunftsaussichten zufriedener war als gedacht. Die große Angst vor der Globalisierung scheint kaum vorhanden. Mehr als 80 Prozent bejahen etwa die Frage, ob ihnen ihre Ausbildung "viele Chancen für die Zukunft bietet".

Der Sehnsucht nach dem "starken Mann" tut dies aber keinen Abbruch. Zwar bekennen sich drei Viertel der Befragten, von denen alle über 18 Jahre waren, grundsätzlich zur Demokratie als Regierungsform. Aber 47 Prozent wünschen sich "eine starke Persönlichkeit an der Staatsspitze, die sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss". Es sei "bedenklich", zu sehen, wie wenig Rückhalt es für diese beiden so fundamentalen Institutionen gibt, sagt Lauß.

Solche Werte sind für ihn und seinen Kollegen Schmid-Heher ein Zeichen dafür, dass der politische Autoritarismus in Österreich stärker wird. Das Institut für Jugendkulturforschung in Wien führt regelmäßig Befragungen über die Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch. Laut diesen Jugendwertestudien ist der Anteil der Menschen, die einen starken Mann an der Spitze wollen, zwischen 2000 und 2011 von 21 auf 30 Prozent gestiegen.

Zuversicht und Pessimismus

Doch woher kommt der politische Frust bei Lehrlingen? Das Verblüffende ist, dass ihr individueller Optimismus und ihr negatives Gesellschaftsbild unvermittelt nebeneinanderstehen. Die persönliche Zuversicht erscheint auch nicht unbegründet. Am Arbeitsmarkt ist der Wettbewerb zuletzt zwar härter geworden – auch unter Menschen mit Lehrabschluss. Doch eine Lehre bietet nach wie vor viele Perspektiven.

Daher schlägt Lauß eine andere Erklärung als die Angst vor dem sozialen Abstieg für den Hang zum Autoritarismus vor. "Es erscheint evident, dass sich Österreich in eine Abwärtsspirale geredet hat". Den meisten Menschen gehe es persönlich recht gut, und sie blickten optimistisch in die Zukunft. Aber weil "es schon beinahe zum guten Ton gehört, sich über Politik nur abfällig zu äußern", erscheinen persönliche und gesellschaftliche Wahrnehmung widersprüchlich.

"Wenn jede politische Debatte in den Medien als Streit dargestellt und jede Reform als Minimalkompromiss niedergemacht wird, verwundert es nicht, dass die Verdrossenheit zunimmt".

Disziplin und Gehorsam

Der Ruf nach einer harten Hand wird aber nicht nur in politischen Fragen lauter. 75 Prozent der Lehrlinge wollen, dass Disziplin und Gehorsam in der Gesellschaft wichtiger werden. Zwei Drittel können der Aussage, manchmal sei es besser, statt harter Strafen Gnade walten zu lassen, nichts abgewinnen. Ebenso viele fordern eine härtere Gangart gegen Unruhestifter.

Interessant ist, dass vor allem jene Menschen mit Demokratie wenig anfangen können, deren Antworten wenig kohärent sind, ja oft widersprüchlich erscheinen. So sehnen sich besonders jene Lehrlinge nach einem starken Mann, die mehr Disziplin fordern, es zugleich aber für gut befinden, wenn Regeln verletzt werden, damit etwas Neues entstehen kann.

"Weltbilder aus der auf Disziplin aufgebauten Industrie und der Innovationsgesellschaft prallen hier aufeinander", meint Lauß. Diejenigen, denen es besonders schwerfalle ein Kohärenzgefühl herzustellen, sehnten sich anscheinend nach einem starken Mann, der für sie ihre Welt ordne, ergänzt Schmid-Heher.

Ruf nach Mitbestimmung

Mangelndes Demokratieverständnis, Autoritätsgläubigkeit, inkohärentes Weltbild – fragt sich, welcher Auftrag daraus erwächst. Eine Idee könnte sein, in der Schule anzusetzen. Aber politische Bildung ist für Lehrlinge bereits ein Pflichtgegenstand. Doch warum verfängt dieser Unterricht nicht stärker – ist das Fach sinnlos oder sind die Lehrer überfordert?

Schmid-Heher sieht das nicht so, ohne politische Bildung wäre die Lage "wahrscheinlich noch dramatischer". Doch auch er sagt, dass es nicht reichen werde, den Schülern die Bedeutung von Institutionen wie dem Parlament zu vermitteln. Ein Schlüssel zum Erfolg könnte sein, in der Schule stärker auf jene Fähigkeit zu fokussieren, die für eine Demokratie so wichtig ist: Mitbestimmung.

Wer denkt, er könne mitgestalten, ist mit der Demokratie zufriedener, wie viele Studien zeigen, so auch jene an der PH. Besonders bei Lehrlingen sei der Ansatz interessant, meint Schmid-Heher, "weil sie zu 80 Prozent ihre Ausbildungszeit in Lehrbetrieben absolvieren und Mitbestimmung nicht zu den Grundfesten des Arbeitsmarktes zählt."

Nicht nur Schule gefordert

Aber wie die Zahlen aus der Jugendwertstudie zeigen, nimmt der Autoritarismus insgesamt zu. Der Politologe Lauß sieht daher die gesamte Gesellschaft gefordert. Sein Verdacht lautet, dass der Diskurs über Abstiegsängste selbstverstärkend wirke. Eine Gesellschaft müsse soziale Befürchtungen ernst nehmen. "Aber dazu gehört es auch, ständig zu hinterfragen, ob man sich an pessimistische Zukunftsszenarien nicht schon so sehr gewöhnt hat, dass sie das eigene Weltbild verdunkeln."

Lauß und Schmid-Heher sehen auch die Medien gefordert. Demokratie brauche Lust an der Auseinandersetzung. "Konflikt ist der Normalzustand des Politischen, und in einer Demokratie wird er eben öffentlich ausgetragen", sagt Lauß, "aber diese Überzeugung ist aus dem öffentlichen Diskurs in den Medien verschwunden". Nachsatz: Ein wenig mehr gute Laune würde der Demokratie vielleicht auch guttun. (András Szigetvari, 21.1.2017)