In der Hauptstadt des Libanon lebt fast die Hälfte der gesamten Bevölkerung des Landes. Sie ist gekennzeichnet durch eine unglaubliche Vielzahl an Kontrasten. Doch genau diese Vielzahl macht auch den Reiz der Stadt aus. Nicht umsonst wird sie als das "Paris des Nahen Osten" bezeichnet und ist seit Jahren eines der beliebtesten Reiseziele der Region. Doch sie besteht nicht nur aus Glanz und Glitzer, wie es uns Reiseveranstalter vorgaukeln wollen.

Die schillernde Seite

Stellt man sich einen Basar im arabischen Raum vor, denkt man an verwinkelte Gassen, faszinierende Gerüche und ein buntes Durcheinander. Nichts davon findet man jedoch in der Gegend um den Hafen und Downtown Beirut. Stattdessen reihen sich exklusive Modeboutiquen, überteuerte Coffeeshops und moderne, teilweise noch leerstehende Bürokomplexe aneinander. Vor allem die Beiruter Upperclass und Touristen aus den Golfstaaten flanieren durch die Straßen.

Nur wenige Minuten entfernt befindet sich Hamra, das nicht nur für sein pulsierendes Nachtleben bekannt ist, sondern auch zahlreiche Kunstgalerien und Museen aufweist. Graffitis und andere Formen von Straßenkunst sind omnipräsent. Die Clubs und Bars stehen den europäischen ebenfalls in nichts nach. Ein Großteil des Feierns spielt sich jedoch auf der Straße ab. Hat man genug davon, trifft man sich, bevor man per Uber nach Hause fährt, noch auf einen Mitternachtssnack bei Subway, McDonald's oder KFC. Das Publikum ist jung, aufgeschlossen und durchzogen von verschiedenen Subkulturen.

Foto: Fabian Rogatschnig

Verlässt man die Stadt Richtung Norden, ist die Autobahn von amerikanischen und deutschen Autohändlern durchzogen. Die reiche Ober- und Mittelschicht fährt am liebsten Mercedes sowie amerikanische SUVs. Das Straßenbild im ganzen Land wird aber von alten Mercedes-230-Modellen geprägt. Werbetafeln preisen den amerikanischen Traum und Kredite für Schönheitsoperationen an. Der Libanon hat gemessen an der Einwohnerzahl immerhin die zweithöchste Rate an Schönheitsoperationen. Sie werden als Zeichen von Wohlstand gesehen und sind ein beliebtes Weihnachtsgeschenk.

Viele Touristen werden vor allem diese Seite von Beirut kennenlernen – und das auch zu Recht. Ein Besuch ist auf jeden Fall zu empfehlen, auch wenn man nur einen fragmentierten Einblick in den riesigen Schmelztiegel der Stadt bekommen kann. 

Die Kehrseite

Selbst bin ich im Stadtteil Shatila untergebracht. Hier bekommt man von alldem wenig mit. Seit Anfang der 50er-Jahre befindet sich hier ein palästinensisches Flüchtlingslager. Durch den syrischen Bürgerkrieg hat sich die Zahl der Bewohner jedoch mehr als verdoppelt. Der Bezirk ist nur durch einen Checkpoint oder kleine, verwinkelte Seitenstraßen zu erreichen. Die meisten Geflüchteten besitzen keine gültigen Papiere mehr, sind praktisch im Lager eingesperrt und leben quasi in einer Parallelwelt.

Armut kennzeichnet diesen Teil der Stadt. Die Straßen sind eng, die Autos schrottreif, die Graffitis politisch, und der Müll stapelt sich am Straßenrand. In den Morgenstunden wird dieser verbrannt, und schwarzer Rauch zieht über die notdürftigen Behausungen, die entweder noch Rohbauten sind oder spärlich mit Wellblechplatten abgedeckt wurden. Schafe, Hühner und Gänse mischen sich in den spärlichen Verkehr, der sich mühsam an klapprig aufgebauten Marktständen vorbeischlängelt. Das pulsierende Beirut ist hier nur durch den Straßenlärm der vorbeiziehenden Autobahn zu hören, aber wirklich spüren kann man es nicht.

Die jungen Frauen, die mich während des Fotoprojekts begleiten werden, stammen aus Shatila. Ihre Eindrücke, Erzählungen, Wege und Abläufe werden sie in den nächten Wochen fotografisch darstellen. Das ermöglicht einen faszinierenden und einzigartigen Einblick in ihr tägliches Leben, der so für Menschen aus dem Westen so gut wie nicht möglich wäre.

Die überraschende Seite

Persönlich war ich am meisten von der religiösen Vielfalt des Landes verwundert. Im Stadtzentrum, neben einer der größten Moscheen, kann man gleich fünf Kirchtürme im direkten Umkreis erspähen. Nicht umsonst rühmt sich das kleine Land mit der größten religiösen Pluralität – zumindest im Nahen Osten. 18 unterschiedliche Konfessionen leben in teilweise fragiler Harmonie zusammen. Die Hälfte davon besteht zu fast gleichen Teilen aus Sunniten und Schiiten aus unterschiedlichsten Strömungen, während sich die andere Hälfte aus christlichen Glaubensgemeinschaften zusammensetzt. Die maronitische Kirche macht davon den größten Teil aus und stellt auch den derzeitigen Präsidenten.

Foto: Fabian Rogatschnig

Beirut galt schon immer als eine kosmopolitische Stadt. Es ist ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen, Religionen und Lebensstile, die nebeneinander existieren. Nicht immer läuft das Zusammenleben reibungslos ab, aber die vielen Einflüsse machen gerade den Reiz der Stadt aus. Das wird mir jeden Abend bewusst, wenn ich vom Balkon im zwölften Stock auf die gegenüberliegenden Hügel der weit ausufernden Stadt blicke und es aussieht, als ob sich der Horizont umgedreht hat. (Fabian Rogatschnig, 30.1.2017)

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