Kern und Mitterlehner ringen um die Überarbeitung des Regierungsprogramms.

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Am Mittwoch präsentierten sich ÖVP und SPÖ gegenseitig Arbeitspapiere.

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Wien – Die Zeichen stehen auf Versöhnung. Auch wenn die SPÖ hinter vorgehaltener Hand Neuwahlen noch nicht ausschließen will: Es wird verhandelt – am Mittwochvormittag, am Mittwochabend und am Donnerstag gleich wieder nach der Angelobung Alexander Van der Bellens als Bundespräsident.

Am Mittwoch ging man kurz vor Mitternacht auseinander – ohne inhaltliche Festlegungen, aber mit (getrennt abgegebenen) Einschätzungen, dass es "keine Neuwahlen" geben werde, wie Kanzler Christian Kern (SPÖ) betonte, und dass die Gesprächsrunden "konstruktiv" seien und man "relativ optimistisch" zu neuen Runden zusammenkommen werde, wie es von ÖVP-Seite hieß. Im Lauf des Donnerstagabends sollen bis nach Mitternacht im Stundentakt die zuständigen Spiegelminister von SPÖ und ÖVP zu den einzelnen Themenbereichen hinzugezogen werden. Auf dem Programm stehen Arbeit und Wirtschaft, Integration, Bildung, Innovation und Start-ups sowie Sicherheit. Am Freitag soll dann in einem finalen Gespräch der Regierungsspitzen der Sack zugemacht werden – sieht zumindest der derzeitige Plan vor.

In den kommenden Tagen soll sich das Krisenteam – bestehend aus Kanzler Kern, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ), dem roten Klubchef Andreas Schieder, Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) und Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) – nun mit Vertretern aus den verschiedenen Ressorts zusammensetzen, um das neue Regierungsprogramm zu erarbeiten.

"Alles gut"

Nach einer Pause für den Radioauftritt Mittlerlehners ging es am Mittwochabend zunächst weiter. Aussagekräftige Statements gab es vor Beginn der Sitzung im Bundeskanzleramt nicht, mehrere Teilnehmer versicherten den Journalisten vor Ort aber, dass sie ein gutes Gefühl hätten. ÖVP-Staatssekretär Mahrer ging mit einem "sehr guten" Gefühl in die Verhandlungen – und kam mit der Ankündigung wieder heraus, dass die "sehr konstruktiven Gespräche" am Donnerstag fortgesetzt würden. Auch sein rotes Gegenüber, Kanzleramtsminister Drozda, wollte die Runde mit einem "positiven" Gefühl wieder aufnehmen. Kurz vor 20 Uhr verließen auch einige SPÖ-Regierungsmitglieder das Kanzleramt wieder, wo zuvor eine fraktionelle Besprechung stattgefunden hatte.

Während die Minister Jörg Leichtfried, Alois Stöger und Hans Peter Doskozil höchstens aus ihren Dienstautos winkten, ließ sich ihre Kollegin Sonja Hammerschmid, die zu Fuß unterwegs war, zumindest zu einer kurzen Stellungnahme hinreißen. "Sehr gut" sei die Stimmung, behauptete sie. Die Frage nach vorgezogenen Neuwahlen quittierte sie mit einem knappen "wir arbeiten". Auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler versicherte gegenüber der APA: "Alles gut."

Auch später wurde die Atmosphäre von beiden Seiten als sachlich und konstruktiv beschrieben. Laut Informationen aus Regierungskreisen geht die Sechserrunde inhaltliche Unterlagen Punkt für Punkt durch, begonnen hat man angeblich mit dem Thema Wirtschaft. Wie lange die Gespräche noch dauern, war vorerst nicht abzusehen.

Krisengruppen

Später sollten auch Fach- und Spiegelminister wieder miteinander sprechen. Der Themenkomplex Integration wird in diesem Modus beispielsweise mit dem zuständigen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) abgehandelt. Weitere Diskussionspunkte betreffen die Bereiche Bildung, Wirtschaft und Sicherheit.

Am Mittwoch hatten sich die Koalitionäre gegenseitig Programmpapiere vorgelegt. Aus dem "Plan A" des Kanzlers seien da- für jene Themen herausgefiltert worden, die kurzfristig umsetzbar wären. Dabei sei man der ÖVP bereits inhaltlich entgegengekommen und habe deren Standpunkt mitverarbeitet. Die ÖVP hat ihrerseits eine 30-seitige Unterlage präsentiert. Es habe eine "vernünftige und sachliche" Diskussion stattgefunden, sagt Mitterlehner.

Flexiblere Arbeitszeiten

Zu einer Einigung könnte es bei einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten kommen. Kern will ermöglichen, dass Arbeitnehmer in Betrieben mit Gleitzeitmodell künftig bis zu zwölf Stunden pro Tag arbeiten dürfen. Dem stehe nichts entgegen, sagt Mitterlehner.

Beide Parteien signalisieren also Arbeitsbereitschaft – offiziell wollen SPÖ und ÖVP bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018 durchhalten. "Wir haben Projekte ohne Ende, die uns die nächsten 18 Monate auslasten können", sagt Kern bei einem Schulbesuch Mittwochfrüh. Am Tag davor hatte der Kanzler dem Koalitionspartner im Gespräch mit dem STANDARD noch ein Ultimatum gestellt: Ergebnisse bis Freitag, "sonst braucht es diese Regierung nicht mehr".

Was genau SPÖ und ÖVP bis Freitag beschließen müssen, damit er zufrieden ist, wollte Kern bei seinem Schulbesuch nicht verraten. Sein "Plan A" liefere jedenfalls sehr viele Anknüpfungspunkte zur ÖVP. Es gelte jetzt die "Scheuklappen" abzulegen und die Dinge umzusetzen.

Inszenierung und Arbeit

Weiterhin kritisch sieht Kern allerdings die Aussage von Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP), wonach der Kanzler mit seinem "Plan A" die "Inszenierung vor die Arbeit" stelle und eine vorgezogene Neuwahl "in der Luft liegt". "Wir haben mit dem 'Plan A' politische Fragen diskutiert, es entzieht sich mir völlig, was daran nicht passen sollte." Er sei jedenfalls auch nach acht Monaten in der Politik nicht bereit, "jede Form des Umgangs zu akzeptieren".

Die Opposition sieht sich das Spektakel derweil erste Reihe fußfrei an und zieht ihre Schlüsse daraus. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache fordert wegen des jüngsten Regierungskrachs rasche Neuwahlen: "Rot und Schwarz belauern sich nur mehr gegenseitig und richten sich über die Medien grobe Unfreundlichkeiten aus." Dabei bleibe die Arbeit für Österreich auf der Strecke.

"Diese Regierung ist nur mit sich selbst beschäftigt und vernachlässigt darüber unser Land. Von einem wie auch immer gearteten Neustart kann nicht einmal ansatzweise die Rede sein", meint der Chef der Blauen. Die Koalition sei "nach zehn Jahren gemeinsamen unverantwortlichen Handelns am Ende angelangt, der einzige echte Neustart wären Neuwahlen".

"Arbeitsverweigerung"

Die Grünen sprechen nach den aktuellen Verwerfungen zwischen SPÖ und ÖVP von einer "Arbeitsverweigerung" der Regierung. "Bei mir löst das hohe Irritation und Kritik aus", sagt Parteichefin Eva Glawischnig. "Das ist alles nur mehr Inszenierung und Außenarbeit, aber keine Sacharbeit. Das ist auch mein Vorwurf an Christian Kern."

Der vielgepriesene "Neustart der Regierung" sei schon wieder vorbei, heißt es seitens der Neos. Die Koalition "soll endlich arbeiten oder gehen", wettert Robert Lugar, Klubchef des Teams Stronach. Neos-Generalsekretär Nikola Donig ist überzeugt: "Alleine werden SPÖ und ÖVP das nicht mehr schaffen." (Lisa Kogelnik, Katharina Mittelstaedt, APA, 25.1.2017)