Sie, die Koalitionäre, mögen rudern, strampeln und winken, sagt Folk. Ihre Bewegungen der letzten Tage nehme ich aber wahr nicht als ein erfrischendes Zeichen wieder gewonnener Beweglichkeit. Es sind hilflose Zuckungen einer Mannschaft, die den Untergang ihres Schiffes sehnsuchtsvoll noch im Blickfeld, das Auseinanderfallen ihres selbstgebastelten Rettungsfloßes aber unter den Füßen hat, sagt Folk. Wer weiß? Durch den wechselseitigen Austausch aufmunternder Floskeln befriedigen sie vielleicht ihr Verlangen nach Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Ich neige dazu, sagt Folk, Personen in ihrer Wirkmächtigkeit zu überschätzen. Kann sein, dass da Defizite sind, die durch beneidenswerte Sachkenntnis, ungetrübte Anständigkeit und ameisenhafte Arbeitslust beseitigt werden könnten. Sieht man aber, sagt Folk, von historischen Extremfällen ab, dann könnte auch unsereins mit mittlerer Sachkenntnis, anerzogener Anständigkeit und leidlich Arbeitseifer den tagtäglichen Anforderungen durchaus gerecht werden. Es liegt, sagt Folk, nicht vorrangig an diesen Leuten als Darsteller, es liegt an ihnen als Symptom.

Für die Politiker gilt, was für die Treiber in den großen Unternehmen auch gilt: Wir können nicht den Einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag. Von Marx hat er das, sagt Folk.

Der Anfang des Endes

Folk gesteht, es könnte phrasenhaft klingen, dennoch sagt er:

Nach der Finanzkrise 2008 ist der Kapitalismus in einer kritischen Lage. Statt des Wachstums gibt es Stagnation. Zunehmende Ungleichheit führt zu Instabilität. Das Vertrauen ins Währungssystem verdampft.

Umbruch ist immer, sagt Folk. Wir leben aber in einer besonderen Umbruchzeit: Die Unterstellung, dass Demokratie und Kapitalismus auf ewig verheiratet wären, bricht zusammen. Diese Leute aber wollen diese Unterstellung weiterhin aufrecht halten. Die wohltönenden Sprüche einer weiteren Liberalisierung werden hohl. Diese Leute aber tun so, als ob wir uns entlang dieser Phrasen weiterhanteln könnten.

Wo vordem regulatorische Institutionen die Auswüchse des Finanzmarktes eingeschränkt haben, ist heute weit und breit nichts mehr in Sichtweite, das einen wohlstandsmehrenden und gemeinschaftsverträglichen Liberalismus wiederbringen könnte. Sie tun nichts, sagt Folk, um diesen Aberglauben zu besänftigen.

Folk sagt: Wir stehen am Anfang des Endes des Kapitalismus. Sinkende Wachstumsraten, zunehmende Naturvernutzung, Herrschaft durch unkontrollierte Oligarchien, sich immer weiter verengende öffentliche Räume bei gleichzeitiger Zunahme einer zynischen Individuisierung, Korruption vielerorts, internationale Anarchie – und weit und breit ist kein Rezept erhältlich, um diese Krankheiten zu kurieren.

Kontrafaktische Politik

Ihre Politik scheint davon zu leben, gegen diese Fakten beim Publikum den Eindruck erzeugen zu wollen, dass sich alles weiterhin so beherrschen ließe wie bisher, sagt Folk. Lug und Trug, bestenfalls naiv.

Die Zeiten kommen nicht wieder, in denen

  • ein bisschen Arbeitsmarktservice das Beschäftigungsproblem löst,
  • ein paar Deutschkurse das Migrationsproblem bewältigen,
  • ein paar Umweltverträglichkeitsprüfungen den Bestand der natürlichen Lebensgrundlagen sichern,
  • durch die staatliche Bausparprämie sich bei allen die Zuversicht einstellt, dass es den Kindern besser gehen wird.

Folk sagt: Wer Politik machen will, muss rücksichtslos sein. Ja schon, sagt Folk, aber doch nicht im machiavellischen Sinne, wonach ein jedes Mittel zum Machterhalt erlaubt ist, wenn es nur auch tauglich dafür ist; sondern rücksichtslos bei der Wahrnehmung der Wirklichkeit, wie sie ist, sagt Folk.

Das Gerede vom postfaktischen Zeitalter krankt daran, dass die Politik dieser Leute schon seit geraumer Zeit in einem Taumel des Kontrafaktischen deliriert. Die Politik dieser Leute ist der Vorreiter des Postfaktischen.

In den sozialen Medien drückt sich nur aus, was uns die Politik dieser Leute seit geraumer Zeit schon vorlebt: das Abstreiten des Tatsächlichen, das Verkennen des Wirklichen, das Leugnen jener gesellschaftlichen Sachverhalte, die das Leben der Menschen jeden Tag prägen und insgesamt für immer mehr Menschen das Gefühl der Ohnmacht angesichts zunehmender Entmächtigung entstehen lassen, sagt Folk.

Schwarzmalerei? In einem Land, das eines der Reichsten der Welt ist?, fragt Folk.

Individuelle Gefühlslagen, sagt Folk, werden durch viele Parameter bestimmt. Der komparativ ermittelte Wohlstand ist nur eine Ursache bei der Ausmittlung dessen, wie man sich fühlt.

Die von diesen Leuten vorangetriebene oder doch geduldete zunehmende Monetarisierung aller Lebensbereiche, die von diesen Leuten geförderte oder doch ohne Widerstand verbleibende flächendeckende Kommerzialisierung aller Werte, die von diesen Leuten durchgesetzte persönlich erfahrbare Prekarisierung des Arbeitslebens, der von diesen Leuten unbekämpft gebliebene merkliche Verlust jener "natürlichen",  das Gefühl des Aufgehobenseins vermittelnder und sichernder Milieus, die von diesen Leuten provozierten wachsenden Wohnungskosten, die von diesen Leuten zu verantwortende abnehmende soziale Mobilität et cetera et cetera führen unter dem Druck einer nur noch an Skandalisierung und Personalisierung interessierten Medienwelt zu Verunsicherung und Zukunftsangst bei gleichzeitiger Sehnsucht nach entschlossener Führung und enttäuschungsfester Orientierung. Diese Leute, sagt Folk, die sehen sie auch, die Rattenfänger, die mit ihren Flöten durchs Land ziehen – und die doch nur eine kleine Variation der Melodie spielen, die ihnen diese Leute längst schon vorgespielt haben.

Bei diesen Leuten, sagt Folk, ist das alles noch nicht angekommen. Die Menschen merken es, und sie nehmen es persönlich. Diese Leute müssen sich nicht wundern.

Bei Aristoteles, erinnert sich Folk, steht der Merksatz: Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel setzen. Dese Leute versprechen den Menschen, den Wind zu drehen, und sie vergessen dann aufs Segel setzen. Diese Leute weigern sich, auf den Kompass zu schauen, und sie wundern sich dann, dass das Schiff auf Grund läuft.

Romantische Anwandlung im Gewand der Drastik

Folk will ganz offen mit mir reden und sagt mir:

Diese Leute sollen alles hinschmeißen. Sie sollen offene Worte sprechen. Man soll sie ihnen abnehmen können, mahnt Folk. Sie sollen sagen, wie sie die Welt sehen. Sie sollen sagen, wie sie zur Welt stehen. Sie sollen sagen, was sie ändern, was sie bewahren und was sie unangetastet lassen wollen. Sie sollen die Differenzen benennen. Sie sollen falsche Rücksichten fahren lassen. Sie sollen viele Schritte zurücktreten. Sie sollen mir die Zuversicht geben, dass sie das Unvermeidliche erkennen und es bewältigen werden. Sie sollen mir die Gewissheit geben, dass sie das immerhin Mögliche uneigennützig unternehmen werden, sagt Folk.

Folk gesteht: Gewiss ist all das ziemlich romantisch. Nichts davon wird geschehen. Diese Leute wissen doch, mehr noch als ich, dass sich Politik nicht nach persönlichen Absichten konstituiert, meist noch nicht einmal nach entsprechenden Einsichten, ist Folk bekümmert. Diese Leute wissen leidvoller noch als ich, dass das, was politisch möglich ist, regelmäßig nur der Ausdruck dessen ist, was sich an sozialen Interessen bis zur Handlungsfähigkeit verdichtet, sagt Folk.

Folk versucht es am Ende in anderen Worten zu sagen:

Die Politik dieser Leute ist doch nur ein Ausdruck einer gesellschaftlichen Lage, in der weit und breit kein politisches Subjekt sichtbar ist. Und solange sich, sagt Folk, ein derartiges Subjekt nicht bildet, wird die Politik dieser Leute das Bild geben, das sie uns schon bisher boten. Dieser ÖVP, versichert Folk, hätte ein selbstbewusstes Bürgertum längst schon die Vollmacht entzogen. Dieser SPÖ, so sagt Folk, hätte eine um die Wahrung ihrer Interessen besorgte Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung längst schon den Garaus gemacht.

Und eine aufgeklärte Öffentlichkeit hätte diese Leute, so denkt Folk, längst schon derart der Lächerlichkeit preisgegeben, dass Ihnen als Darsteller dieser Politik jeder Abgang von der politischen Bühne als das gelindere Übel spürbar geworden wäre, sagt Folk. (A. J. Noll, 26.1.2017)