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Schreibt für den Theaterabend "Ein europäisches Abendmahl" am Akademietheater: Terézia Mora.

Foto: Uwe Anspach / EPA

STANDARD: Sie schreiben als eine von fünf Schriftstellerinnen für den Theaterabend "Ein europäisches Abendmahl" am Akademietheater (Regie: Barbara Frey). Inwiefern konnten Sie zusammenarbeiten?

Mora: Der Wunsch des Burgtheaters war, dass jede von uns einen Monolog oder Dialog schreiben sollte für eine oder zwei Frauenfiguren. Aus diesen einzelnen Texten sollte dann der Text der Aufführung entstehen. Das bedeutet, dass ich den endgültigen Text der Aufführung auch nicht kenne.

STANDARD: In Ihrem Text erzählt eine Frau namens Mari von ihrer Geschichte als einst illegal Migrierte. Die Begegnung mit einem muslimischen Asylwerber bleibt distanziert. Zeigt das, dass wir uns eh nur für uns selbst interessieren?

Mora: Ich möchte nicht meinen Text interpretieren. Was gesagt werden kann: Da ist eine Figur, die, als sie jung und arm war, hinaus wollte in die Welt, während sie nun, da sie auf der Schwelle zum Altsein steht und wohlsituiert ist, beschlossen hat, sich von der Welt zurückzuziehen. Sie kommt dazu, sich mit einem jungen Mann aus einer anderen Kultur auseinandersetzen zu müssen. Wir können nicht behaupten, dass sie dabei zur besten Person wird, die sie hätte werden können.

STANDARD: "Ein europäisches Abendmahl" handelt ausschließlich von weiblichen Protagonistinnen. Ein feministisches Statement?

Mora: Dass nur weibliche Figuren auftreten, muss nicht heißen, dass etwas feministisch ist. Die Entscheidung für lauter weibliche Figuren ist auch nicht vonseiten der Autorinnen gefallen. Für mich selbst ist es immer ein Abenteuer, Sprecherinnen zu haben. Aus mir unenträtselbaren Gründen fiel es mir bisher immer leichter, männliche Figuren zu schreiben – das ändert sich gerade, vielleicht aufgrund meines fortschreitenden Alters. Mein eigener Text hatte nicht explizit vor, feministisch zu sein. Was nicht ausschließt, dass er es dennoch geworden ist.

STANDARD: Sie sind in Sopron geboren, zweisprachig aufgewachsen und leben seit 1990 in Berlin. Was war für Sie damals bedeutsamer: der Sprung in die Metropole oder der Sprung in ein fremdes Land?

Mora: Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Beides hatte einen entscheidenden Einfluss darauf, wie ich heute lebe und was für Texte ich produziere. Als junger Mensch war der Sprung in die Metropole wohl wichtiger. Ich wollte nicht in erster Linie aus Ungarn weg, sondern aus der Provinz.

STANDARD: Die Diagnose Ihrer Kollegin Zsofia Ban über Ungarn heute ist trist. Haben Sie je gedacht, dass der nationalistische Eifer in Ihrem Geburtsland so groß werden und der Wille zur Demokratie so zurückhaltend bleiben würde?

Mora: Dass wir 25 Jahre nach der Wende nicht bessere Demokraten geworden sind, ist für die Intellektuellen und für jeden, für den Demokratie etwas bedeutet, sicher die größte Enttäuschung. Andere sind vielleicht enttäuscht, weil sich ihre Lebensweise dem des Westens auf anderem Gebiet (Konsum, medizinische Versorgung) nicht so angenähert hat, wie sie es sich gewünscht hätten. Armut ist tatsächlich ein ebenso großes Problem in Ungarn wie Rassismus oder Sexismus und führt dazu, dass zehn- wenn nicht gar hunderttausende junge Menschen das Land verlassen. Keiner kann behaupten, genug richtig gemacht zu haben, wenn ihm seine Jugend wegläuft. Wir haben allen Grund, enttäuscht von uns zu sein.

STANDARD: Im Gymnasium waren Sie bei einer Theater-AG. Was hat Sie daran interessiert? Welche Literatur wurde gespielt?

Mora: Wir haben Stücke gespielt, die unser AG-Leiter für uns geschrieben hat. Er war Literatur- und Geschichtslehrer, seine Texte waren stark von seinen Lieblingslektüren (von François Villon bis István Örkény) und seiner ironischen Betrachtung der Geschichte geprägt. Seine Sprache war sparsam, und wir trugen sie auf eine Weise vor, die weit entfernt von der pathetischen oder rezitierenden Sprechweise war, die damals teilweise noch auf den Bühnen üblich war. "Sag einfach, was dasteht" bzw. "Satzzeichen sind keine bloße Dekoration" helfen einem auch als Schreibende.

STANDARD: Sie sind vielfach ausgezeichnete Romanautorin; welche Möglichkeiten haben Sie in der Kurzform gefunden?

Mora: Zum einen erlaubt einem eine Erzählung einen sehr unmittelbaren Blick auf eine Figur. Außerdem kann man in der Kurzform auch seinen Satz trainieren. Ihn beobachten: Wie verhält er sich in längerer Prosa, wie in kürzerer. Alles sehr spannend. Man lernt nie aus. (Margarete Affenzeller, 26.1.2017)