Wien – Elisabeth Schramm stand schon im Jahr 1946 an den Schubladen aus dunklem Holz mit dem fein säuberlich sortierten Inhalt und den handgeschriebenen Etiketten. "Teigschaber", "Eisportionierer" oder "Süßmostkappen" etwa werden dort für den Verkauf aufbewahrt.

derStandard.at

Mit 15 Jahren trat sie als Lehrling in das Haushaltswarengeschäft ihrer Eltern ein. Den Laden in der Wiener Währinger Straße 140 gab es zu diesem Zeitpunkt seit fast drei Jahrzehnten. 1919 hatte ihn das Ehepaar Binder eröffnet. "Es war schwer für sie, ein Jahr nach dem Ersten Weltkrieg", sagt Schramm, die heuer im März ihren 86. Geburtstag feiert – und sich noch immer an den alten Holzschubladen, den stattlich gefüllten Regalen, im Lager oder an der Theke des Geschirrgeschäfts Binder Schramm zu schaffen macht. Um Ware einzukaufen, veräußerten ihre Eltern damals den Familienschmuck, erzählt die 85-Jährige mit den lockigen grauen Haaren und dem freundlichen Lächeln.

In Geschäftshaushalt hineingeboren

Zu kaufen gibt es bei ihr "fast alles", wie sie sagt. "Und was nicht da ist, wird besorgt." Neben Porzellan, Keramik und Glas namhafter Marken steht allerlei Praktisches in den deckenhohen Regalen – vom Einmachglas mit charmant verziertem Drehverschluss über die Öko-Trinkflasche bis zum elektrischen Wasserkocher. Man müsse den Leuten Lust machen, etwas zu erstehen, sagt Schramm, die "in einen Geschäftshaushalt hineingeboren" wurde: "Mit sechs Jahren konnte ich schon Stamperln einpacken."

Das Geschäft kurz nach der Eröffnung im Jahr 1919.
Foto: Binder-Schramm

Noch heute verwendet sie gerne (Zeitungs-)Papier, um den Kunden ihre neu erstandenen Waren mitzugeben. Ihr Können will sie an ihre Lehrlinge weitergeben: "Zu meiner Lehrzeit gab's noch keine Plastiksackerln, wir haben alles geschnürt, Stanitzel gemacht." Auch das Sortiment hat sich im Laufe der Jahre verändert. Früher führten die Schramms auch Heugabeln, Leibschüsseln oder Sitzbadewannen.

"Hindernislauf" im Bezirk

Schramm übernahm das Geschäft 1960 gemeinsam mit ihrem Bruder. Als dieser 1973 verstarb, führte sie es mit ihrem Mann weiter. Seit rund vier Jahren kümmert sich vor allem Sohn Josef um den Betrieb, aber auch Tochter Elisabeth hilft, wo sie kann. Fünf Mitarbeiterinnen und ein Lehrling sind zudem im Einsatz. Schramm selbst arbeitet nur noch an zwei Tagen in der Woche.

Elisabeth Schramms Leben dreht sich um die Währinger Straße 140.
Christian Fischer

Den Bezirk kennt sie wie ihre Westentasche. Sie wurde in dem Haus, in dem sich der Betrieb befindet, groß. Als Kind spielte sie im Schubertpark gegenüber oder ging mit der Wäsche zum Waschsalon um die Ecke. Auch ihre drei Kinder sind im Bezirk geboren und aufgewachsen.

Die Währinger Straße entlangzugehen sei wie "ein Hindernislauf", erzählt Schramm. Sie werde ständig gegrüßt oder angesprochen. Und obwohl sie mittlerweile in Niederösterreich wohne, erledige sie ihre Einkäufe, Arzt- oder Friseurbesuche weiterhin im 18. "Ich hab Sie gekannt, da waren Sie noch gar nicht auf der Welt", habe schon manch einer aus dem Grätzel zu ihr gesagt. "Ich weiß, das ist unlogisch", sagt Schramm lächelnd. Ihr Laden ist eben eine Institution.

Auch mit fast 86 Jahren lässt sie es sich nicht nehmen, im Geschäft mitzumischen.
Christian Fischer

Es sei das älteste im Familienbesitz befindliche Geschäft in der Gegend – und habe eine "Grätzelfunktion", sagt Schramms Sohn Josef. Statt in der Geschirr- oder Elektrowarenabteilung der Filiale einer großen Möbelkette einzukaufen, ginge man hier zum "Nahversorger" und bekomme eine "sehr persönliche Ansprache". Kunden würden aber auch aus "weit über die Bezirksgrenzen hinaus" anreisen.

Frau Schramm mit ihrer Tochter Elisabeth und ihrem Sohn Josef.
Christian Fischer

Warum sich das Geschäft über all die Jahre halten konnte? "Mundpropaganda", antwortet Schramm. "Und die Vielfalt macht die Kunden sprachlos." Seit acht Jahren wird auch eine Webseite betrieben. Einen Lieferservice bietet man aber nicht an. Bestellungen müssen abgeholt werden: "Für die Kundenbindung", erklärt Sohn Josef.

70 Jahre Berufstätigkeit

Eine Schwierigkeit, an der andere scheitern, habe es bei der Familie Schramm nie gegeben: ein Familienmitglied zu finden, welches das Geschäft übernimmt. An Pension denken weder Schramms Kinder mit über 60 Jahren, noch sie selbst. Das sei Tradition: Auch Vater Karl Binder sei mit 84 Jahren noch im Laden gestanden. "Mir haben die 70 Jahre Berufstätigkeit immer Freude gemacht", sagt Schramm. "Und was man gern tut, macht man gut." (Text: Christa Minkin, Video: Christian Fischer, 27.1.2017)